Kilimanjaro Reisebericht:
Kilimanjaro - Berg ohne Gnade

Es ist Ende Februar. Ich sitze in Nairobi in einem Internet-Cafe, es ist mein letzter Tag, morgen geht mein Flieger nach Hause. Hinter mir liegen drei Wochen Tansania und Kenia, und ich bin alles andere als vorbereitet auf die saubere, kühle, organisierte deutsche Welt...

Die letzten Wochen waren sehr erlebnisreich und in mancher Hinsicht unvergesslich. Denn meinTraum vom Dach Afrikas –dem Kilimanjaro- ist Wirklichkeit geworden.

 

Aber alles ganz von vorn:

Mein Flug am 29. Januar begann damit, dass das erste, was ich auf dem Frankfurter Flughafen hörte, war, dass mein Flug mit KLM nach Amsterdam wegen technischer Probleme komplett gestrichen wurde. Da meine Kilimanjaro-Tour direkt am nächsten Tag startete und meines Wissens nur eine KLM-Maschine täglich zum Kilimanjaro-Airport fliegt, war mir gleich mal ein wenig mulmig... Ich war Gott sei Dank (oder besser dank meiner Eingebung, statt der S-Bahn ein Taxi von Wiesbaden zum Frankfurter Flughafen zu nehmen), sehr früh da und daher recht vorne in der Schlange der umzubuchenden Passagiere, so dass ich einen Flug nach Amsterdam mit der Lufthansa ergatterte, der dort rechtzeitig für meinen Anschlussflug nach Tansania landen sollte.

 

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Über den Flug nach Tansania kann ich nur sagen, dass ich selten einen Flug so genossen habe wie diesen, es stimmte einfach alles - Wundervolles Personal, Klasse Filme und ein 1A-Essen, zwischendurch sogar noch Eis... Ich fühlte mich eher wie in der Business-Class... Bin gespannt, ob der Flug morgen zurück genauso toll wird...

 

In Arusha, einer Stadt am Fuße des Kilimanjaro, angekommen, erwartete mich bereits Paul, der Fahrer meiner Tour-Agency mit einem warmen "Karibu", was "Willkommen" heißt und mir in den drei nächsten Wochen auf Schritt und Tritt entgegenschallte.

 

Die Fahrt zum Hotel verbrachte ich damit, mich wieder mal an den Linksverkehr zu gewöhnen und die warme, etwas feuchte afrikanische Luft zu geniessen, die mir entgegenwehte.

 

Im Hotel angekommen, fiel ich nach einem kleinen Snack in mein Bett, mobilisierte meine letzten Kräfte, um noch das Moskitonetz aufzuspannen, und landete ohne Übergang im Tiefschlaf.

 

 

1. Tag (von 1.800 auf 3.000m)

 

Um 5 Uhr wurde ich schlagartig von dem Muezzin einer direkt gegenüberliegenden Moschee geweckt - damit hatte ich hier eigentlich nicht gerechnet - und es war mir auch nicht vergönnt, danach wieder einzuschlafen, da das morgendliche Treiben auf der "Straße" vor meinem Fenster begonnen hatte - ein Hahn krähte, Hunde bellten und ein paar Männer unterhielten sich lautstark direkt unter meinem Fenster...

 

Entnervt stand ich schließlich auf und begann nach einer gerade mal lauwarmen Dusche, auszusortieren, was ich für den ersten Teil der Reise nicht brauchte. Danach hätte ich gleich wieder duschen können, so feuchtwarm war es im Zimmer, denn gemäß meines Kontingents hatte das Zimmer (das eher ein Schuhkarton war) keinen Ventilator oder gar Klimaanlage...

 

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Ich deponierte die aussortierten Sachen im Hotel, frühstückte und erfuhr dann von Grace, der Mitarbeiterin meiner Tour Agency, dass die Abfahrt verschoben worden war, da der Rest meiner Gruppe dies so wünschte- das machte mich ja schon neugierig, was das denn für eine Gruppe ist. Zeit genug jedenfalls, den ganzen formalen Kram zu erledigen, was wir im nahegelegenen Büro taten, wo ich auch erfuhr, dass Grace, mit der ich von Deutschland aus immer in Kontakt gestanden hatte, die Frau des Besitzers war. Was ich hier ebenfalls später entdecken sollte, war, dass meine Gruppe aus 8 Estländern bestand, die die Reise zusammen gebucht hatte und gleichermaßen erstaunt waren, dass da noch jemand dazugekommen war... Es handelte sich um 2 befreundete Familien und einen weiteren Freund. Ich muss gestehen, dass das zunächst mal meinen Enthusiasmus etwas dämpfte, denn ich fürchtete, dass, obwohl die meisten Englisch sprachen, sie sich doch (verständlicherweise) meist auf estländisch (welches dem Finnischen sehr verwandt ist) unterhalten und mich damit außen vor lassen würden.

 

Nun, nach ziemlich langer Wartezeit aus mir nicht ersichtlichen Gründen (daran muss man sich gewöhnen, dies ist der african way of life...) konnte es dann endlich losgehen - mit Remid, unserem Chief Guide, mehreren Assistant Guides, und ca. 30 (!) Trägern. Es ist ein Wahnsinn, welcher Tross für 9 Leute notwendig ist, um den Kilimanjaro zu besteigen...

 

Wir fuhren von Arusha zum Machame Gate. Hier startet die Machame Route, die zu den schönsten der 6 Routen zum Gipfel zählt, aber auch nicht die Leichteste ist.

Dort vergingen nochmals ca. 3 Stunden, bis wir alle registriert waren, ich hatte noch den Eintritt zum Berg zu bezahlen, dann wurde Lunch abgehalten, dann packten die Träger ihr Gepäck, und dann, endlich, endlich, ging es tatsächlich los...

 

 

Die Hauptsache bei der Besteigung des Kilimanjaro lässt sich in 2 Worten ausdrücken: "Pole pole". Dies ist Kisuaheli und heißt "Langsam, langsam". und obwohl ich das bereits wusste und dies auch in allen Reiseführern zur Kilimanjaro-Besteigung angemahnt wird, um dem Körper genügend Zeit zur Akklimatisierung zu geben und Energie zu sparen, die er später dringend brauchen würde, hatte ich am ersten Tag große Mühe, dies zu beherzigen (auch das hatte ich schon vorher geahnt, ich bin ungesunderweise eher Bergstürmerin als Langsamgeherin) - und so hatte ich mich mit Ivar, einem 23jährigen Studenten, der mit Mutter und Grossvater unterwegs war und auch schon auf dem K2-Basecamp in Pakistan gewesen ist (= zweithöchster Berg der Welt), schon bald weit vom Rest der Gruppe abgesetzt, sehr in philosophisch-anthropologische Diskussionen vertieft...

 

Es geht durch einen sagenhaften dunklen, hohen Regenwald, mit Bäumen, die von Lianen und Flechten regelrecht eingewickelt sind, und überdimensionalen Riesenfarnen. Je höher man kommt, desto stiller und dunkler wird es, die dunkelgrünen feuchten Moospolster an Stämmen und Ästen werden größer und größer, in den hellen Flechtenvorhängen glitzern Wassertropfen. Der Steigungsgrad verdoppelt sich nach ca. der Hälfte der Strecke, weit über 20% hinaus. Während wir immer weiter diskutieren, übersteigen wir umgestürzte Bäume und riesige freigelegte Wurzeln und überspringen kleine Bächlein, alles ist etwas feucht und rutschig. Wir machen einmal Rast und teilen deutsche getrocknete Bananen und estländische Schokolade miteinander, dann geht es weiter. Das Allerwichtigste ist aber, dass man regelmässig und viel, viel trinkt. Tut man das nicht, bekommt man bald starke Kopfschmerzen, und besinnt man sich nicht spätestens dann eines Besseren, wird man die Tour bald aufgeben müssen - mit der Höhenkrankheit ist nicht zu spaßen (ist bei Nichtbehandlung = Abstieg tödlich), und wenn die Kopfschmerzen selbst nach Schmerztabletten unerträglich werden, hilft ohnehin nur noch der Abstieg.

 

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Nach und nach werden die Bäume niedriger und es wird nun auch heller, und wie in meinem Reiseführer beschrieben, kommen wir natürlich auch in den ersten Regenschauer, so dass wir schnell in unsere Regensachen springen müssen, denn solche Schauer kündigen sich nicht groß an und sind ziemlich heftig...

Ehe wir es uns versehen, haben wir das Ende unserer Tagesstrecke erreicht und sind, nachdem wir den zum Schluss wie ein Feenschloss sonnendurchfluteten Wald mehr oder weniger verlassen haben, im Machame Camp angelangt. Während wir auf die anderen warten, können wir sehen, dass bereits alles für uns hergerichtet wurde - die Träger, die trotz ihrer 20 Kilo Gepäck (das sie meist auf dem Kopf tragen, einige, ohne es auch nur mit den Händen zu berühren) viel schneller waren als wir, haben bereits unsere Zelte aufgestellt, Matratzen hineingelegt und unser Gepäck in die richtigen Zelte gelegt, ebenso ein Esszelt sowie ihre eigenen Zelte aufgestellt, Snacks vorbereitet und Unmengen von Wasser gekocht und sind dabei, unser Abendessen vorzubereiten.

 

Nachdem auch der Rest der Gruppe eingetroffen ist, richten wir uns in unseren Zelten ein (ich hatte eine eigene Isomatte mit, die ich immer noch aufblasen musste) und bekamen - wie von nun an jeden Abend und Morgen ein rotes Plastikschüsselchen mit heißem Wasser, um uns damit ein wenig frisch zu machen. Dies ist alles an Hygiene, was man sich in den 6-7 Tagen der Kilimanjaro-Besteigung leisten kann. Der Rest wird mit Reinigungstüchern erledigt - oder gar nicht... spätestens am 4. Tag „riechen“ sowieso alle gleich, wie das auf solchen Touren eben immer so üblich ist… Das gebietet einfach schon der Anstand, dass man sich geruchlich nicht positiv vom Rest der Gruppe abhebt ;-).

 

Danach wird zum Dinner im Esszelt gerufen. Vor uns stehen zunächst zwei Tabletts mit einem Riesenhaufen frischem Popcorn und Thermoskannen mit Tee.

Wir können es gar nicht fassen, und ich frage zum Spaß, welchen Film wir denn zu sehen bekommen (für mich gehören Popcorn und Kino irgendwie zusammen). Wir stürzen uns darauf, und in Nullkommanix ist alles verputzt. Ein solcher Snack (Popcorn, Nüsse oder Chips) wird in den nächsten Tagen immer direkt nach der Ankunft gereicht, dazu heißer Tee, nach ca. 2 Stunden wird das Dinner serviert.

 

 

Ivar und Raid, der 15-jährige Sohn der anderen Familie, klagen über etwas Kopfschmerzen, und ich bereue, dass ich Ivar so schnell den Berg mit hinaufgezogen habe (statt der überall angegebenen Durchschnitts-Mindestzeit von 5 Stunden haben wir nur 4h15 gebraucht). Durch unser lebhaftes Gespräch allerdings haben wir beide nicht den Eindruck, dass die erste Tagesetappe besonders anstrengend gewesen ist - auch die anderen fanden die Anstrengung erträglich. -

 

Nach ca. 2 Stunden kommt dann das eigentliche Abendessen - ich bin schon völlig satt vom Popcorn, platze fast von der Suppe und bekomme nur noch sehr wenig von dem Hauptgang in mich hinein, vom Nachtisch ganz zu schweigen.

 

Was das Essen während der gesamten 6 Tage betraf, so war es immer köstlich, und für mich grenzte es an ein Wunder, wie der Koch und seine Helfer es schafften, nach der ganzen Plackerei auch noch dieses tolle westliche Essen hinzukriegen... und dann noch recht abwechslungsreich – Kartoffeln, Nudeln, Reis, Gemüse, Fleisch, zuvor immer eine köstliche Suppe, hinterher Früchte als Nachtisch. Und das, wo die Träger selbst meist nur einen Maisbrei mit dem Rest des für uns zubereiteten Gemüses/Fleisches und Soße bekamen, und zwar tagein, tagaus (ein Assistenzführer erzählte mir, dass allein 100 Kilo Maismehl zu diesem Zwecke mit hochgeschleppt werden, das dann einfach mit Wasser angerührt wird... krass, oder? Da bekommt man doch echte Gewissensbisse... aber das ist nach Aussage des Helfers wohl tatsächlich das Essen, das die meisten Menschen dort gewohnt sind.)

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Ich selbst achtete in dieser Zeit darauf, kaum Fleisch zu essen – der Körper benötigt für dessen Verwertung dreimal mehr Sauerstoff als für Kohlenhydrate – das überlegt man sich, wenn der Sauerstoffgehalt der Luft sinkt...

 

Zurück zum ersten Abend: Was mir nicht gefiel, war, dass die Gruppe (natürlich- und wie befürchtet-) die ganze Zeit estnisch redete und echt viel Spaß hatte, und ich daneben saß und nicht wusste, was ich tun sollte – ernst bleiben, während sie sich kaputtlachten, war genauso blöd wie mitlachen, wenn ich gar nicht wusste, worüber... Ich war etwas frustriert, dass das keinen der anderen zu kümmern schien, aß schweigend mein Mahl und machte mir Gedanken darüber, wie das in den nächsten 5 Tagen aussehen sollte...

 

Abends vor dem Schlafengehen traf ich durch Zufall noch drei Deutsche im Camp, bei denen ich mir meinen Frust von der Seele redete und die mir anboten, in den nächsten Tagen abends zu ihnen rüberzukommen, wenn ich es nicht mehr aushielte... Gott sei dank war das nicht der Fall, so dass ich sie erst zufällig zwei Tage später wiedertraf. Sie hatten vorher in Vorbereitung auf den Kili den Mount Meru erklommen, was fürchterlich gewesen sein muss, und nun hatten sie einen Heidenrespekt vor dem Kilimanjaro.

 

Ziemlich erschöpft fielen wir alle bald nach dem Essen in unsere Schlafsäcke, als es auch schon wieder zu regnen begann- und zwar fast die ganze Nacht. Wie ich wenig später feststellte, war mein Zelt alles andere als dicht, so dass ich einen Teil der Nacht damit verbrachte, die Wasserschäden in Grenzen und mich einigermaßen trocken zu halten.

 

  

2. Tag (von 3.000 auf 3.800 m)

 

Der Morgen brachte dann das Ausmaß der Schäden zutage: Mein Schafsack war feucht, und ein Teil meiner Klamotten auch, da das Wasser später nicht nur von unten, sondern auch von oben gekommen sein muss...

Wie das alles in dieser Kälte wieder trocken werden sollte, war mir ein Rätsel...

 

Das morgendliche Ritual bestand darin, dass man mit einem leisen „Hello“ geweckt wurde (spätestens so gegen 6 Uhr). Wenn man daraufhin das Zelt aufmachte, hockten zwei Träger mit einem Tablett davor und fragten: „Tee or Coffe?“ Cool, oder? Ich habe mir mehrmals überlegt, ob ich die Zwei nicht mit nach Wiesbaden nehmen solle – damit fängt der Morgen doch gut an...

Wenig später „klopften“ sie dann erneut ans Zelt und brachten das bereits erwähnte  rote Plastikschüsselchen mit heißem Wasser – die morgendliche Dusche sozusagen... Wie man sich damit im Zelt auch nur annähernd waschen sollte, blieb unserer Phantasie überlassen – ein paar Männer stellten sich einfach mit freiem Oberkörper vors Zelt – nun ja, bei der Kälte auch kein Spaß, und für uns Frauen ohnehin keine ernstzunehmende Alternative ;-).

 

Dann ging es zum Frühstück ins Essenszelt. Es gab Tee, Kaffee, Kakao oder Milo (so eine Art Ovomaltine), Toast, Butter, Marmelade, Honig, Omelette, manchmal auch Pfannkuchen, und Cerealien, hinterher wieder leckere Früchte (Ananas, Mango, Papaya, Bananen), mmmhhhh…

 

So gestärkt, wurde gepackt und dann losmarschiert.

 

Zunächst geht es in angenehmer Steigung weiter durch hohe Erikazeen (stangenartige Erikagewächse), Flechten und Moose, ab und zu sogar etwas bergab, nach ca. anderthalb Stunden ist es nicht mehr wirklich ein Weg, eher ein Steig, den man begeht, sehr steil, sehr felsig, und ab und zu auch Kletterpartien.

Dann zeigen sich die ersten großen Senezien, eigenartige Bäume mit Ästen, die selbst wie Stämme aussehen und an deren Ende sich ein großes Blätterbüschel befindet.

 

Erst ist es sehr warm, eigentlich eher regelrecht heiß, mit zunehmender Höhe wird es nebliger und kühler – und vor allem sehr viel steiler. Doch trotzdem laufe ich noch immer zu schnell und beschließe, mich an Phillippo, den Assistenzführer, der die Gruppe anführt, zu halten. Ich plage Phillippo mit Fragen zu seiner Sprache, und so kommt es, dass er in den nächsten Tagen mein Hauptlehrer in Kisuaheli ist, was ich zum Schluss gut genug für winzige Konversationen beherrsche. So schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe – ich halte das Reisetempo ein und tauche in die Sprache der Einheimischen ein.

 

Es ist unglaublich, wie das Wetter am Berg sich immer wieder verändert:

Nach ca. dreieinhalb Stunden wird es ziemlich kalt, und während wir mittlerweile durch eher kahles Gelände mit hin und wieder kniehohem Gestrüpp marschieren (immer schön pole pole...!), fängt es schon wieder zu regnen an. Als wir am Lunch- Point anlangen, sind wir völlig durchgefroren und einige von uns trotz Regenkleidung auch recht nass.

Diese Mahlzeit am 2. Tag ist etwas, woran ich mich immer, immer, immer erinnern werde, wenn ich an diese Kilimanjaro- Besteigung denke: Ich wünschte mir die ganze Zeit, wir könnten einfach weitergehen, einfach nichts essen. Das so liebevoll von den ebenfalls völlig durchnässten Köchen angerichtete kalte Gemüse kann ich nicht antasten – mir ist so unglaublich kalt, dass allein der Gedanke an etwas Kaltes zum Essen mir Eisschauer über den Rücken sendet.

Der Regen über dem an Stangen befestigten Regendach unseres Unterstandes (nur wir und der Führer haben darunter auf Campingstühlen Platz, die Träger stehen im Regen um das Feuer herum, an dem unser Essen gekocht und unser Wasser für die Weiterreise abgekocht werden, und zittern vor Kälte und Nässe...) tropft auf unsere Rucksäcke, und manchmal auch auf unsere Rücken, während wir endlich heiße Suppe und danach den Hauptgang essen. Trotz meiner inzwischen angezogenen zwei weiteren Lagen ist mir immer noch unendlich kalt, und ich bin gottfroh (und ich bin sicher, auch die Träger), als wir endlich wieder aufbrechen.

 

Weiter geht’s, bald über nackten, rutschigen Fels, ununterbrochen steigend, manchmal wieder fast kletternd. Alles ist feucht und rutschig.

Irgendwann hört der Regen so plötzlich auf, wie er angefangen hat, und wir erreichen nach fast 9 Stunden unser nächstes Camp – das Shira-Camp.

Dieses Camp ist richtig hübsch. Es liegt auf einem schönen Plateau, von welchem man einen tollen Ausblick auf die umliegenden Berge und das Tal hat.

 

Nachdem wir uns kurz in unseren Zelten eingerichtet haben, nimmt Remid ein paar Willige noch mit auf einen kleinen Spaziergang zur recht geräumigen Shira-Höhle, in der auch jetzt verbotenerweise einige Träger anderer Gruppen untergeschlüpft sind.

 

Wir haben heute geschlagene 2 Stunden mehr gebraucht als angegeben und fühlen uns auch dementsprechend.

Beim Abendessen werden die Befindlichkeiten ausgetauscht: Alle Männer haben Kopfschmerzen, Raid hat sich nach dem Snack übergeben und fühlt immer noch einen Würgereiz. Den Frauen geht es gut. Ivar und ich diskutieren dieses Phänomen, das sich bis zum Schluss fortziehen sollte, und erarbeiten die Theorie, dass der Umstand, dass Frauen anscheinend erstaunlicherweise weniger Schwierigkeiten mit dem Berg haben als Männer, evtl. mit dem durchschnittlich niedrigeren Blutdruck der Frauen zu erklären ist... Irgend jemand sollte mal eine Statistik zu diesem Thema erstellen- und sie dann veröffentlichen; vielleicht wird Bergsteigen dann ja zum Frauensport! J

 

 

Remid und die Träger haben seinen Regenumhang und noch einige andere Planen über meinem Zelt befestigt, um es trocken zu halten, und ich hoffe inständig, dass das was nützt.

Beim Auspacken des Rucksackes entdecke ich allerdings, dass ein Großteil meiner Klamotten nicht nur nicht etwas trockener sind, sondern im Gegenteil ziemlich feucht, zu feucht auf jeden Fall fürs Anziehen. Der Regen des Tages ist trotz Regenhülle und zusätzlichem Sack, in dem der Rucksack auf dem Trägerrücken transportiert wurde, durchgedrungen. Ich bereue, dass ich den angebotenen Plastiksack, in den ich meine Sachen einpacken sollte, am Abend zuvor vergessen hatte, da nun keiner mehr übrig ist.

Ich mache mir etwas Sorgen über den Zustand meiner Klamotten, bin aber zu fertig und friere zu sehr, um mich länger damit zu beschäftigen.

Wir sind gerade mit dem Abendessen fertig, als es auch schon wieder zu regnen beginnt. Im Regen werden schnell die Zähne geputzt (die Regenklamotten haben wir aus Kälteschutzgründen ohnehin an), schnell noch auf die Toilette (immer Steh-Plumpsklos – es hört sich doof an, aber ich mag diese Art Klos, nur nicht, wenn Hunderte von Wanderern und Trägern sie benutzen, dann ist das Ganze eine ziemlich eklige Angelegenheit), und dann muss man das Kunststück fertig bringen, mit den nassen Klamotten ins Zelt zu kommen, ohne dass es von innen nass wird – ich hab schon allein Schwierigkeiten damit; wie die anderen zurechtkommen, die zu zweit in geringfügig größeren Zelten (mit Rucksäcken etc.) schlafen, ist mir ein Rätsel).

Ich entdecke mit meiner Kopftaschenlampe schnell, dass von unten mein Zelt schon wieder nass wird, kleine und große Pfützen bilden sich überall, wo ich auf den Boden drücke. Ich breite meine Regensachen (die eigentlich mal trocknen sollten) unter meinem Rucksack aus, ziehe mir eine Mütze auf, breite meinen zweiten Schlafsack über meinen ersten und lasse den Regen Regen sein...

 

 

 

3.Tag ( 3.800m auf 3.900m)

 

Gegen 5 Uhr erwache ich von stechendem Kopfschmerz, den ich in der Stunde bis zum Wecken mit fortwährendem Trinken von eiskaltem Wasser einigermaßen bändigen kann. Zudem habe ich einen leichten Würgereiz, den ich mit einer Übelkeitstablette in den Griff bekomme – hier oben hab ich keine Lust auf Wartespielchen... Ok, denke ich, jetzt geht’s also los mit den höhenbedingten Wehwehchen, und vielleicht hätte ich die letzten Tage doch noch langsamer gehen sollen...

 

Der Morgen bringt zudem ans Licht, dass nun auch meine Isomatte völlig nass ist, zum Glück sind meine Schlafsäcke verschont geblieben. Sonst findet sich nicht mehr viel Trockenes in meinem Hab und Gut.

 

 

Ich ziehe die letzten halbwegs als trocken zu bezeichnenden, klammen Sachen an, und nach dem Frühstück geht es verspätet los, da wir beim Packen nicht so recht aus dem Knick kommen.

 

Der erste Teil des dritten Wandertags ist teilweise noch schlimmer als der vorige.

 

Durch eine weite schwarze Sandwüste, die mit Millionen schwarzer Steinbrocken übersät ist (die reinste Mondlandschaft), geht es nach einiger Zeit sogar wieder bergab. Nach etwa einer Stunde erreichen wir wieder die Vegetationszone, es ist plötzlich unglaublich neblig, man sieht keine 20 Meter weit.

Dann kommt wieder, was kommen muss: Regen. Und Kälte.

Das Mittagessen ist sogar noch fürchterlicher als das gestrige – ich komme mir vor wie in einem Déjà-vu. Wir sitzen uns im Unterstand zitternd gegenüber und können kaum so schnell sprechen und essen, wie wir mit den Zähnen klappern, Kadri, die 17jährige Schwester von Raid, sagt mir auch noch, dass ich blaue Lippen habe – eine Rückmeldung, die mein Kältegefühl auch nicht gerade reduziert… Es regnet Bindfäden, und ich denke, dass die Sintflut nicht schlimmer gewesen sein kann. Werde ich jemals wieder etwas Trockenes sehen...? Es ist kaum vorstellbar.

 

Nach diesem Lunch verlassen uns zwei Träger, Vater und Sohn, die zum ersten Mal mit dabei sind. Sie können einfach nicht mehr. Ihre Last muss nun auf die anderen Trägerrücken verteilt werden...

 

Ein kleiner Exkurs sei mir gestattet – ich muss das einfach mal loswerden:

 

J In diesem Regen und der Kälte als Frau pinkeln zu gehen, ist eine weitere Tortur, die sich der liebe Gott als Bestrafung für den vermaledeiten Apfel ausgedacht hat – als Mann kann man wohl gar nicht nachvollziehen, wie es ist, wenn man erst mal irgendwo ein Eckchen suchen, dann bei schneidender Kälte und strömendem Regen den Rucksack abschnallen (obwohl ich das oft gelassen habe), die Jacke hochschieben und die drei Hosen runterziehen und sich in die Nässe hocken muss, das Gleiche rückwärts noch mal. Und das fast alle halbe Stunde, da man wie eine Irrsinnige trinkt, um die Höhe auszugleichen – und wenn man dann mit ansehen muss, wie sich die Herren der Schöpfung noch nicht mal irgendein Plätzchen suchen, sondern sich mitten auf dem Weg direkt vor einem umdrehen und im Stehen an den Wegrand pinkeln – dann weiß man wieder, was schreiende Ungerechtigkeit ist! J

 

 

Aber das einzig Stetige am Kilimanjaro ist der Wechsel (das kann man wohl auch aufs Leben münzen, doch darüber werden wir jetzt nicht philosophieren...) – und so werden wir ca. 20 Minuten nach unserem Aufbruch von warmen Sonnenstrahlen überrascht, die Wolken reißen auf, und wir sehen den Kibo zu unserer linken Seite aufragen, schneebedeckt und wunderschön. Innerhalb von ein paar Minuten zerren wir uns eine Schicht nach der anderen vom Leib, bis wir nur noch im T-Shirt wandern – nur, um eine halbe Stunde später wieder eine Schicht anzuziehen, da es wieder etwas kälter wird. Die Sonne allerdings bleibt, und wir wandern durch eine mit Senezien bewachsene schöne Landschaft, wieder guten Mutes. Phillippo erklärt mir, dass man das Alter dieser Gespensterbäume an der Anzahl ihrer Äste ablesen kann. Alle 25 Jahre wächst ein neuer Ast. Es ist unglaublich, wie alt diese Bäume sind, manche hatten 6 bis 8 Äste! Der älteste soll 600 Jahre alt sein!

Es ist dies die größte Ansammlung dieser merkwürdigen Pflanze, die man bisher gesehen hat.

 

 

Irgendwann an diesem Tag kommt uns ein Träger mit lebender Last entgegen – er trägt einen älteren Mann, den wir auch für einen Träger halten, auf dem Rücken und rennt fast. Wir sind bestürzt und ergehen uns in Mutmaßungen.

 

Wir lassen uns mehr Zeit, als wir sollten, gehen mehr abwärts als aufwärts, unterhalten uns, schießen Fotos, bewundern die Landschaft und die Farbenprächtigkeit der mächtigen, senkrecht aufragenden, rot-schwarz-braun-weißen Wand, an der wir stundenlang entlanggehen und achten darauf, auf dem glitschigen Weg nicht auszurutschen.

 

So dass wir letztendlich wieder mehr als 8 Stunden unterwegs waren, bevor wir das Barranco Camp am Fuße des Kibo erreichen. Es ist schon dämmrig, und wieder neblig.

 

Ich habe eine Idee und gebe ein paar meiner nassen Sachen Phillippo, der sie im winzigen Küchenzelt über das Feuer hängt – ich habe mit so was schon mal schlechte Erfahrungen gemacht (in Chile habe ich auf diese Weise mal eine meiner Wandersocken in Brand gesteckt ;-)) , aber was bleibt mir anderes übrig – mit halb nassen Klamotten weiterzulaufen, ist keine Alternative...

 

Als wir uns zum Dinner versammeln, ist mir schwindlig, ich habe dumpfe, drückende Kopfschmerzen - und ich habe Fieber. Heiki, die Mutter von Raid und Kadri, hat ebenfalls Fieber und hustet. Den anderen außer Kadri geht es auch nicht wirklich gut. Ich nehme zum Nachtisch zum ersten Mal in meinem Leben eine Aspirin. Das von Heiki angebotene Fieberthermometer nehme ich nicht an– ich will mich gar nicht erst in irgendwas hineinsteigern, sondern bloß noch schlafen.

 

Als nach dem Abendbrot die Wolken wieder aufreißen, sehen wir beim Zähneputzen ein gigantisches Sternenzelt über uns und können erkennen, dass das Camp von schneebedeckten Bergen regelrecht eingerahmt ist - wunderschön! Auf einem nächtlichen Toilettengang kann ich dieses Gletscher-Panorama sogar im Schein des Vollmondes bewundern.

 

Das Schlafen in diesen Höhen ist auch nicht ganz einfach. Selbst im absoluten Ruhezustand schlägt einem das Herz bis zum Halse. Richtet man sich nur mal kurz auf und legt sich dann wieder hin, keucht man, als hätte man gerade einen 100- Meter-Sprint hinter sich. Seit dem zweiten Tag schlafe ich, die sonst noch nicht mal ein Kissen benutzt, wie empfohlen mit erhöhtem Oberkörper, da ich ansonsten tatsächlich Kopfschmerzen bekomme. Der Schlaf ist auch eher leicht, manchmal wache ich von meinem eigenen rasenden Herzschlag auf.

 

Mittlerweile ist es beißend kalt, und wenn ich nicht zwei Schlafsäcke gehabt hätte (eine Entscheidung, für die ich mich selbst hätte küssen können!), wäre die Nacht um einiges unangenehmer gewesen.

Meine nasse Isomatte hatte ich in meine Rettungsdecke eingewickelt, die auch gleichzeitig eine noch wärmende Funktion hat, und so überstand ich diese eiskalte Nacht (Remid sagte uns später, dass es –25 Grad Celsius waren) ganz gut – vor allem, da mein Zelt in alle verfügbaren Schutzmäntel von unten und oben eingehüllt war.

 

  

4. Tag (3.900m auf 4.600m)

 

Am Morgen fühle ich mich gut – der Schlaf hat mir gut getan.

Meine über dem Feuer aufgehängten Klamotten sind zwar jetzt fleckig und riechen nach Essen, aber sie sind über Nacht tatsächlich fast ganz getrocknet – meine zwei nächsten Tage sind gerettet, Gott sei Dank!

 

Heiki, die ich in der Nacht immer wieder husten gehört hatte, ist allerdings recht geschwächt, ihr Fieber war in der Nacht noch gestiegen, dann wieder abgesunken, aber sie hat immer noch erhöhte Temperatur und hustet weiterhin.

Calvi, ihrem Mann, geht es rundherum schlecht, und auch Alar, der Freund der Familien, spricht nicht viel und sieht schlecht aus.

 

Diesmal bin ich es, die die Gruppe warten lässt, irgendwie komme ich mit dem Packen nicht ganz nach. Kadri, die wegen ihres Asthmas eine schnellere Gangart anschlagen muss (obwohl ich immer dachte, dass es eher umgekehrt sei), ist mit ihrem Führer schon los, wie wir gestern noch ausgemacht hatten. Es ist echt erstaunlich, zumal sie die einzige ohne jegliche Bergerfahrung ist, Asthma hat und doch bisher absolut verschont von allen Leiden geblieben ist. Sie ist fit und voller Tatendrang...

 

Heute müssen wir eine Mordsstrecke zurücklegen. Viele Touranbieter teilen daher diese Strecke auch in zwei Tage auf.

Es geht sofort steil bergauf, wir müssen bald klettern. Aber die Sonne scheint, und wir sind bald bester Laune. Wie die Träger allerdings diese Kletterpartie meistern, ruft immer wieder Bewunderungsrufe hervor – mit wirklich riesigen Lasten auf dem Kopf, die größer sind und schwerer erscheinen als die zierlichen Männer selbst, balancieren sie schwitzend auf den Felsen, und nie sehen wir eine Last fallen...

 

Papsi (so wird der 70-jährige (!) Vater von Inga, Großvater von Ivar, von allen genannt) hat ziemliche Probleme beim Wasserlassen, wir müssen immer wieder längere Pausen deshalb machen.

 

Auf dem Kamm angekommen, machen wir dort kurz Rast. Gerade, als wir wieder losmarschieren wollen, entdecke ich die drei Deutschen vom ersten Tag wieder und unterhalte mich kurz mit ihnen. Auch sie haben schon etliche Beschwerden erlebt und einer von ihnen war gestern Abend kurz vor dem Aufgeben. Sie machen die heutige Strecke in 2 Etappen, das heißt, sie sind einen Tag länger unterwegs. Dann erzählen sie, dass sie keinen Führer mehr haben, da ihr Führer gestern plötzlich halbseitig gelähmt wurde und nach unten getragen werden musste! Das also war der Mann, den wir gestern gesehen hatten. Eine schöne Ermutigung für die Gruppe ist das ja schon, wenn ausgerechnet der Führer am dritten Tag schlappmacht ... die Armen...Die drei werden nun von ihrem Koch geführt – oh je...ich hätte gern erfahren, ob sie es geschafft haben... und was das für ihr Essen bedeutet hat J

 

Auf der weiteren Strecke wird bald ersichtlich, dass Calvi ein echtes Problem hat. Nach ein paar Schritten muss er immer wieder lange pausieren. Er sieht jetzt auch wirklich schlecht aus, will aber nicht aufgeben. Remid beschließt, dass er bis zum Lunchpoint mitgeht und dann eine Entscheidung getroffen werden soll.

 

Heiki, seiner Frau, geht es nach eigenen Angaben auch „beschissen“, sie will aber weitergehen.

 

 

Es geht ab und zu auch bergab, dann wieder bergauf, und es ist feuchtkalt und neblig. Ich merke, was sich bereits gestern bei mir angekündigt hat, und worüber die anderen schon länger klagen – selbst wenn ich jetzt so schnell gehen wollte wie an den ersten zwei Tagen – ich könnte es nicht mehr. Bei jedem schnelleren Schritt pocht mir das Blut im Kopf, bei jedem Sprung oder schon etwas zu derbem Aufsetzen des Fußes. Versuche ich trotzdem schneller zu gehen, durchzuckt mich ein starker Kopfschmerz. Es ist wie bei einem Rennpferd, das losgaloppieren will, aber von starken Händen am Zügel gehalten wird und nur langsamen Schrittes gehen kann...

 

Am Lunchpoint angelangt (wo Kadri schon seit drei(!) Stunden wartet!!! Sie muss da hoch gerannt sein...), regnet es wenigstens nicht, gemütlich ist es aber auch nicht. Nach dem Essen wird Kriegsrat gehalten. Remid sagt, dass die Symptome bei Calvi auf ein Ödem hinweisen. Bald steht fest: Für Calvi ist die Reise hier zu Ende. Er wird mit zwei Trägern ins Mweka Camp absteigen, wo wir uns morgen Abend wieder treffen würden.

Heike und Papsi sind weiter mit von der Partie.

 

Nach etwas wehmütigem Abschied von Calvi geht es weiter – wir haben noch sehr viel Weg vor uns, danach nur eine kurze Rast, bevor wir um Mitternacht zum Gipfel aufbrechen müssen.

 

Es geht bergab in ein Tal, dann das Gleiche wieder bergauf, und Remid verkündet, dass wir nun an der Wetterzone angekommen sind, das heißt, kein Regen mehr. Ich kann es nicht fassen, aber tatsächlich – wir sind über den Wolken, selbst wenn es unter uns regnet – hier oben scheint sogar die Sonne! Wir klettern, überqueren Bäche, blicken in wunderschöne Täler, in wechselnde Vegetation und dann irgendwann, nach wieder viel zu langem Zeitverbrauch (ca.9 Stunden), auf eine pure Steinwüste, in der bald unser nächtliches Camp auftaucht – Barafu Camp, das Ausgangscamp für den Gipfelsturm!

 

Noch vor dem Dinner gibt es ein weiteres Problem: Papsi geht es so schlecht, dass Inga besorgt um einen Arzt für ihren Vater bittet. Remid macht sich auf den Weg zur nächsten Ranger- Station. Bald ist er zurück und berichtet, dass ein Helikopter nicht kommen könne. Erstens sei es Nacht, zweitens könne er hier nicht landen, drittens fliege er von Nairobi los (warum das, war mir nicht klar), so dass Papsi selbst nach unten gehen müsse. Genau das ist aber das Problem. Er probiert es vorerst mit Medikamenten.

 

Dass Raid sich sehr schlecht fühlt und Ivar Fieber hat, fällt kaum noch auf.

 

Wir saßen beim Dinner, als die nächste Katastrophe eintrat: Heiki bekam kurz hintereinander drei Herzanfälle.

Ich sage euch ganz ehrlich, ich habe in diesen Augenblicken damit gerechnet, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Menschen sterben sehe. Es war fürchterlich, und ich kam mir so hilflos wie selten in meinem Leben vor.

 

 

Was ich (und auch die Führer) nicht wussten: Heiki hat Herzprobleme, die ihr bekannt waren – ihre Medizin befand sich aber im Rucksack von Calvi, den dieser mit ins andere Camp genommen hatte. Der Führer leistete hervorragende Arbeit. Er schaffte es, sie zu beruhigen – auch Kadri blieb unglaublich ruhig und hielt ihrer Mutter die Hand.

Danach war klar, dass Papsi und Heiki schnellstens nach unten mussten. Jede Minute auf dieser Höhe machte die Gefahr größer. Bis alles organisiert war, war es nach 10 Uhr abends. Papsi wurde von zwei Trägern mit einer fahrbaren Trage abtransportiert, Heiki ging mit einem Träger nach unten, alles bei Dunkelheit, nach den Anstrengungen des Aufstieges und nur mit einer Kopftaschenlampe ausgerüstet...

Inga machte den Vorschlag, dass wir unseren Aufstieg auf den nächsten Tag verschieben sollten. Da dies für mich aber aufgrund des Starts einer gebuchten Safaritour am Tag nach dem Abstieg nicht in Frage kam, einigten wir uns schließlich darauf, den Aufstieg um 3 Stunden zu verschieben und um 3 Uhr statt um Mitternacht aufzubrechen.

 

An Schlaf war allerdings nicht zu denken. Die Höhe, der Sauerstoffmangel, die Aufregung und Sorge um unsere Kranken, die Kälte und nicht zuletzt die Aufregung, dass in ein paar Stunden das eigentliche Abenteuer begann –und das unter den ungünstigsten Vorzeichen- ließen mich nicht zur Ruhe kommen.

 

 

5.Tag (4.600m auf 5.895m)

 

 

Um 2 Uhr weckte uns Remid. Ivar und Raid gaben auf – sie fühlten sich nicht in der Lage, auch nur zu versuchen, weiterzugehen.

Also waren es nur noch Inga, Kadri, Alar und ich, die den Gipfelsturm wagten.

 

Wohlweislich und vorgewarnt nehme ich von den Keksen, die wir als leichte Kost als Frühstück bekamen, nur zwei, um das Frühstück nicht später wieder zu erbrechen.

 

Dann geht es los, bei Dunkelheit durch das verlassene Camp (alle anderen Wanderer waren ja schon 3 Stunden vorher aufgebrochen) wurde gleich geklettert.

 

Ich hatte die ganzen Tage zuvor als einzige meine Wanderstöcke nie benutzt, aber immer an den Tagesrucksack geschnallt, was mir einige Witze einbrockte – für den Gipfelsturm hatte ich sie allerdings von Anfang an in den Händen, was mir zunächst einige Schwierigkeiten machte, bald aber völlig unabdingbar wurde.

Jeder von uns hat heute seinen eigenen Führer. Direkt am Anfang nehmen sie den anderen ihre Rucksäcke ab, ich verweigere dies allerdings, da ich mein Wasser als einzige in einem Wassersack im Rucksack trage, so dass ich bequem aus dem Schlauch trinken kann, was mir bisher extrem wertvolle Dienste geleistet hatte. Und da ich ständig trinke, will ich nicht ausgerechnet beim Gipfelsturm auf einen Träger angewiesen sein, der mir dafür immer meinen Rucksack reichen muss. Nun ja, hätte ich ihm das Ding mal lieber überlassen...

 

Schon bald wird klar, dass wir ganz unterschiedliche Schrittgeschwindigkeiten haben. Inga möchte ständig Pausen, während derer ich ungeduldig von einem Bein aufs andere trete, so dass ich Remid bald um Erlaubnis bitte, die Gruppe zu trennen und mit Kadri und unseren Trägern schneller zu gehen. Er scheint nicht ganz begeistert davon, stimmt aber zu.

 

 

Und so gehe ich denn mit Kadri weiter. Da der Vollmond scheint, ist der Weg mit Unterstützung unserer Headlights gut zu sehen - ein enormer Vorteil . Es ist wahnsinnig steil und klirrend, klirrend kalt. Wenn wir uns umdrehen, sehen wir unwirklich die Lichter der Stadt Moshi unter uns blinken – schwer vorzustellen, dass es dort, so nah, wie es schien, staubig, stickig und heiß ist. Und gegenüber steht, einsam, schweigend, weiß und hoch, der Mawenzi, und scheint zu uns herüberzusehen.

 

Ich habe mit eiskalten Füßen zu kämpfen – so kalt, dass ich meine Zehen nicht mehr spüren kann und überlege, ob das schon Anzeichen von Erfrierungen sind...Ich gehe dazu über, bei jedem Schritt die Zehen zu bewegen.

Um Kopfschmerzen zu vermeiden, trinke ich viel. Bald wird es schwieriger, das angeschlagene Tempo beizubehalten, ich habe Mühe, Kadri zu folgen.

Diese wird allerdings auch bald langsamer.

Es dämmert, und wir können die Lampen ausstellen. Wir setzen uns auf einen Stein und beobachten den Sonnenaufgang, der den Mawenzi in glutrotes Licht taucht. Das gibt ein paar hübsche Bilder. Wenn nur meine Füße nicht so kalt wären...

Andrew, mein Führer, Omari, Kadris Führer, blasen zum Aufbruch, der uns schon nicht mehr so leicht fällt. Es wird nun schnell wärmer, was meinen Füßen sehr zugute kam, die endlich auftauen.

Es geht steiler und steiler nach oben, und wir werden sehr langsam und machen so viele Pausen wie noch nie. Ich trinke, aber das scheint auch nicht zu helfen. Jeder Schritt ist anstrengend.

Die Sonne brennt nun, und mir kommt in den Sinn, dass wir unbedingt Sonnencreme auftragen sollten, was wir auch tun.

Ab ca. 5.000 Metern frage ich mich die Frage, die ich mir in den letzten Tagen bereits vereinzelt gestellt habe, fast ununterbrochen: Wieso tue ich das? Was tue ich hier eigentlich? Bin ich verrückt? Wie komme ich darauf, den Kilimanjaro besteigen zu wollen? Was hab ich denn mit dem Kilimanjaro zu tun??!

Ich weiß aus Lektüre, dass sich das jeder einzelne Wanderer am Kili irgendwann fragt, und das macht es tatsächlich etwas erträglicher. Eine Antwort finde ich allerdings auch nicht...

 

Man kann sich nicht vorstellen, was Sauerstoffmangel mit einem macht, wenn man es nicht mal selbst erlebt hat. Nicht nur, dass das Herz aus der Brust zu springen scheint, der Kopf unter permanentem Schmerz steht und einem ununterbrochen schwindlig ist – man weiß nicht, wie man das Kunststück fertig bringen soll, schon wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen. Nach jedem einzelnen Schritt ist eine Pause fällig.

 

In eine große Krise gerate ich, als ich feststelle, dass ich meinen 2-Liter Wassersack bereits auf ca. 5.100 Metern vollständig geleert habe und nun für die restlichen 6 Stunden nur noch 0,7 Liter in meiner Flasche zur Verfügung habe. Ich denke ernsthaft an Abstieg, da ich einfach nicht sehen kann, wie ich 3 Stunden Aufstieg, die noch härter werden würden als der bisherige, und 3 Stunden Abstieg damit bewältigen sollte. Ich bin verzweifelt und ziemlich am Ende. Die Träger und Kadri sind es schließlich, die mich mehr durch Ignoranz als durch überzeugende Argumente dazu bewegen, einfach weiter zu gehen. Kadri meinte: Sieh zu, dass du erst mal hinauf kommst, und mach dir oben Gedanken, wie du wieder runter kommst!

 

 

Die weitere Strecke ist eine unglaubliche Qual. Ich habe Gleichgewichtsstörungen, kleinere Schwächeanfälle, bin mitunter orientierungslos. Meinen Rucksack hatte ich nach dem Wasserdebakel Andrew gegeben. Trotzdem stütze ich mich nach jedem Schritt völlig ausgelaugt auf meine Wanderstöcke, ohne die ich wohl auf allen Vieren hätte kriechen müssen, so schwach fühle ich mich.

Kadri geht es nicht besser, jedes Mal, wenn ich sie frage, wie es ihr gehe, sagt sie, sie versuche mit aller Macht, nicht ohnmächtig zu werden.

 

Wir sind uns einig, dass es Inga und Alar, die die meisten dieser Symptome, die wir erst jetzt hatten, schon an den vorangegangenen Tage gezeigt hatten, niemals bis zum Uhuru Point schaffen würden – selbst wir wissen ja nicht, ob wir je da anlangen würden. Sie sind vielleicht sogar schon umgekehrt...

 

Mir wird inzwischen immer schlechter, ich fühle, dass ich mich bald werde übergeben müssen.

Selbst die zwei Kekse vor dem Aufbruch hätte ich wohl nicht essen dürfen.

Wie auch immer, insgesamt übergebe ich mich dann auf dem Weg nach oben viermal.

Jedesmal von Andrew dabei gestützt (ab einem gewissen Punkt hast du keine Kraft mehr, Scham zu spüren, du bist einfach nur noch dankbar, dass jemand sich um dich kümmert...) Er klopfte mir auf den Rücken, reichte mir Taschentücher, stützte mich, damit ich beim Brechen nicht auch noch hinfiel... einfach unglaublich...

 

Überhaupt verstanden die beiden Führer ihren Job. Sie puschten uns auf ihre leise, aber bestimmte Art voran, sangen leise Lieder, ließen unsere Pausen zwar zu, drängten aber immer wieder zum Aufbruch – was wirklich keine leichte Sache war, denn sobald man saß, ging es einem besser, und man wollte einfach nur noch genau da sitzen bleiben – von mir aus für immer...

 

Es wird immer schlimmer, und ab einem gewissen Punkt geraten wir wohl fast in eine Art Delirium, denn statt zu heulen fangen wir plötzlich an, zu singen und wie bescheuert zu lachen – unsere Art, dem Berg den Kampf anzusagen... Am Tag danach unterhielten sich Kadri und ich darüber, was wir an diesem Tag gesungen hatten: Sie hatte ein estländisches Lied mit dem Titel „99 Biere“ und ich „Ja, mir san mit’m Radl da“ gesungen... Immer wieder... Man muss wohl kein Psychologe sein, um da ein wenig zu schmunzeln...

 

Der Weg zum Stella Point, dem Kraterrand des Vulkans, erscheint endlos, endlos, und als die Führer meinen, jetzt sei es nur noch eine halbe Stunde, brechen wir fast vor Verzweiflung zusammen – eine halbe Stunde – ich weiß ja noch nicht mal, wie ich die nächste Minute mit Gehen überleben sollte...Sie zeigen uns die Stelle, sie scheint so weit entfernt wie der Mond, dazwischen unheimliche Steigung – und Schnee. Jetzt beginnt also die Schneezone.

Er ist gottseidank recht hartgefroren, so dass wir nicht einbrechen. Noch vor ein paar Wochen mussten die Führer hier Schneisen für ihre Anvertrauten schlagen, damit die nicht bis zur Hüfte einsanken. Ich glaube, wenn das hier der Fall gewesen wäre, wäre das das Ende meiner Reise gewesen... Ich bin froh, meine Skibrille mitgenommen zu haben, sie schützt zudem noch die obere Hälfte meines Gesichtes gegen Sonnenbrand.

 

 

Kadri hat mittlerweile wirkliche Probleme mit ihrem Asthma, und im Laufe der Steigung drei ziemliche Asthmaanfälle. Ich hab keine Ahnung, wie dieses Mädchen das immer wieder in den Griff bekam, sie war einfach unglaublich.

 

Ich weiß auch nicht mehr, wie wir es schließlich schafften, entgegen unseres eigenen Glaubens, am Stella Point anzugelangen.

Er ist sagenhaft! Einen so wunderschönen Anblick nach solcher Anstrengung habe ich selten gesehen- er raubt einem den letzten Rest Atem: Moshi, Mawenzi, Mt. Meru, die Massai-Steppe, die gesamte Ost- und Südflanke, die Pare-Berge- ein einzigartiges Panorama im gleißenden Sonnenschein! Ich glaube, ich war sogar fähig, ein paar Bilder zu machen.

Und hier, auf Stella Point, erlebe ich ein anderes Phänomen: Während spätestens hier das zweite Drittel der Wanderer die Expedition abbricht, habe ich hier zum erstenmal das Gefühl, dass ich es schaffen könnte – den Gipfel. Nur noch ungefähr eine Stunde – eine Stunde von so vielen, vielen, die ich hier schon tagelang hinaufgegangen bin, nein, die musste ich einfach schaffen, ich konnte jetzt nicht aufgeben!

Kadri allerdings hat ihren dritten Asthmaanfall, und ihr laufen die Tränen über die Wangen. Sie sagt immer wieder, sie sollte umkehren, aber das sei so unsinnig, nach dem ganzen Mühen und den vielen Stunden, und nur noch einer Stunde Weg bis Uhuru Peak... Ich weiß nicht, was ich ihr raten sollte – ich habe keine Ahnung, wie ich mit einer ohnmächtigen Asthmatikerin umgehen soll. Ihr Spray hat sie zwar dabei, sagt aber selbst, dass dies nicht viel nützen würde.

Es ist eine schwierige Situation: Ich möchte weder dafür verantwortlich sein, dass sie gesundheitlichen Schaden nimmt oder da oben gar stirbt ( jährlich sterben immerhin durchschnittlich 10 Menschen am Kilil!), noch, dass ich ihr zum Abstieg rate und sie es doch hätte schaffen können...

Ich sage ihr schließlich, dass ich es auch vernünftiger fände, wenn sie abstiege, es aber genauso verstehen könnte, wenn sie es nicht täte und ihr dann beim Weitergehen helfen würde.

Die Führer, die nicht wissen, dass sie Asthma und nicht einfach Atemprobleme hat, drängen uns wieder zum Aufbruch, und wir taumeln weiter Richtung Uhuru Peak durch die Eiswüste.

Immer wieder sind uns schon vorher Wanderer entgegengekommen, die es bereits geschafft hatten, und sie feuern uns an. Sie wüssten genau, wie es uns gehe, es sei ihnen ein paar Stunden zuvor an der gleichen Stelle auch so beschissen gegangen, wir sollten nicht aufgeben, es würde sich wirklich lohnen usw....

Ich muss sagen, dass mich das einige Male vor der Umkehr bewahrt hat, und auch jetzt half es wieder, als wir ratlos vor einer Schneeanhöhe stehen, die eigentlich nicht mehr als ein kleiner Hügel ist, und uns nicht darüber im Klaren sind, wie wir es da rauf schaffen sollten. Eine Gruppe kommt uns entgegen und ruft, wir seien fast da, weiter, weiter, da hinten (sie zeigten mit ihren Stöcken in die Richtung) sei es schon!

Ich bin zwar schwach, aber meine Sinne sind wieder um einiges klarer. Im Nachhinein schiebe ich diesen Umstand auf die Tatsache, dass ich mir ab Stella Point extreme Sorgen um Kadri machte und darüber ganz vergaß, mir Sorgen um meinen eigenen Zustand zu machen. Sie taumelt, stöhnt und sieht völlig hilflos wie ein Blatt im Wind aus.

Bei einer unserer Pausen (die sich schon längst nicht mehr ankündigen, wir lassen uns einfach zwischen einem Schritt und dem nächsten in den Schnee fallen) hält es Andrew für eine gute Idee, meine nur noch zu einem Viertel gefüllte Wasserflasche mit Schnee zu füllen, damit er schmelzen kann und ich so Wasser haben könnte. An sich eine ganz gute Idee, da ich ohnehin schon längst Schnee esse, um Wasser zu sparen. Nur leider zu früh, denn noch sind wir beim Aufstieg, so dass der umgekehrte Effekt eintrat und sich das restliche Wasser in der Flasche auch noch in Schnee verwandelte – aber mir ist das alles schon längst gleichgültig – es ist mir alles so egal... - wenn mir in diesem Augenblick jemand eine Waffe an den Kopf gehalten hätte, es wäre mir auch egal gewesen, wenn er abgedrückt hätte...

 

 

Als ich dann irgendwann weiterstolpere, bekomme ich mit, dass die beiden zurückgebliebenen Führer laut rufen und lachen, mir fehlt aber die Kraft, mich umzudrehen.

Bei der nächsten Pause (ungefähr 5 Minuten später) gestehen sie mir, dass sie meine Flasche verloren haben, sie sei weggerollt und läge jetzt irgendwo auf dem Gletscher... Sie entschuldigen sich dafür, aber ich sehe, dass sie das eher wahnsinnig amüsiert, und muss sogar mitlachen – wie gesagt – wen kümmerte es schon, wenn ich hier an Dehydrierung verendete? Mich jedenfalls nicht...

 

Irgendwann, zwischen einem Nebelfeld und dem nächsten, sehe ich dann, in welcher Schönheit wir eigentlich wandeln – unglaubliche Gletscherformationen ragen zu meiner Linken auf, ein spektakulärer Anblick im Sonnenlicht. Andrew bekommt die Aufgabe, meine Kamera aus meiner Jackentasche hervorzubringen, während ich mich halbtot auf meine Stöcke stütze. Die Fotos kann ich dann wieder selbst schießen.

 

Kadri hat dafür allerdings keinen Blick mehr. Sie stammelt immer wieder, sie sollte runtergehen, aber es sei so sinnlos nach der ganze Schufterei... Und dass sie zwar irgendwie Uhuru Peak erreichen würde, aber es mit Sicherheit nicht mehr runterschaffen würde. Garantiert nicht mehr. Ich sage ihr nun, was sie mir so viele Stunden vorher gesagt hatte: Kümmer’ du dich darum, wie du hoch kommst, dann machen wir uns Gedanken, wie wir dich wieder runter bekommen!

 

An einem der Punkte, an denen du denkst (nein, du denkst eigentlich schon lange nicht mehr, ES denkt in dir): Keinen einzigen verdammten Scheiß-Schritt mehr – kommt uns wieder eine Gruppe entgegen und ruft: Hey, ihr seid so gut wie da, wenn der Nebel nicht wäre, könntet ihr das Gipfelschild schon sehen! Nur noch ein paar Minuten!

Ich werde von einer Mischung aus Ungläubigkeit und Aufregung erfasst und nehme mein letztes Bisschen Willenskraft zusammen. Ich schließe zu Kadri auf, die in ihrer Taumelei fast schneller ist als ich, und da reißt der Nebel auf, und im Sonnenschein vor uns, keine 200 Meter weit weg, sehen wir es – das Schild – Uhuru Peak, der Gipfel!

Plötzlich geht es sich wie ganz von allein, ES geht uns, ich schwebe, ich habe das Gefühl, ich bin nie so energiegeladen ausgeschritten (in Wahrheit waren wir mit Sicherheit immer noch lahm wie die Schnecken), und plötzlich überkommt mich ein solcher Gefühlsausbruch, dass ich laut weine, ich kann die Tränen nicht stoppen, ich lasse das Schild nicht aus den Augen, und beim Schild angelangt, schließe ich die halb ohnmächtige Kadri weinend in die Arme.

 

Während mir zwei junge Männer, die vor uns da waren, gratulieren und ich für sie Bilder mit ihren Trägern schieße, liegt Kadri am Boden, schwer atmend, die Tränen rinnen ihr übers Gesicht, aber es sind Tränen der Qual, nicht der Freude.

 

 

Die Träger und ich schleppen sie mehr, als sie geht, unters Schild, drücken einem der jungen Männer unsere Kameras in die Hand und lassen uns fotografieren. Kurzzeitig erwacht Kadri zum Leben. Sie fragt mich nach einem Messer und schneidet damit ein Armband von ihrem Arm und befestigt es an einer der Leinen, die am Schild hängen und die voll sind mit Wimpeln, Farben, Bändern von all den Leuten, die schon hier waren. Erst jetzt entsinne ich mich, dass die zwei Kisten, die unter dem Schild stehen, dafür bestimmt sind, dass jeder, der es hierher schafft, etwas von sich hineintun kann. Daran hatte ich vor dem Aufbruch gar nicht mehr gedacht – ich suche eine Weile – und tue dann schmunzelnd ein kleines deutsches Pumpernickel hinein – bei der Kälte wird das wahrscheinlich noch in ein paar Jahren genießbar sein, hihi... J

 

Ich machte noch ein paar Fotos von der Umgebung (ich muss sagen, ich bin selbst auf die Fotos gespannt, ich weiß nicht und wusste es auch in jenem Augenblick nicht, was genau ich alles gesehen hatte – ich konnte nichts speichern), dann rüsten wir hastig zum Aufbruch. Omari greift Kadri unter die Arme und läuft mit ihr schnell abwärts, Andrew und ich laufen so schnell wie möglich hinterher.

 

Etwa eine halbe Stunde später erleben wir eine Überraschung – wir stoßen auf Remid, den anderen Führer und unsere zwei Freunde! Sie haben durchgehalten! Ich war überwältigt vor Freude! Und nur eine halbe Stunde nach uns! Wir hatten sie unterschätzt – und uns vielleicht auch überschätzt...

Wir ermuntern sie, und mit neuer Willenskraft schleppen auch sie sich zum Gipfel.

 

Wir rennen nun buchstäblich, da Kadri nach Luft ringt. Ich nehme Andrew meinen Rucksack ab und bitte ihn, sich mit Omari bei Kadri abzuwechseln.

Und weiter geht es bergab. Als ich um eine Kurve biege, sehe ich Kadri auf einem Stein sitzen, nur vom Stein gehalten, die beiden treuen Träger etwas ratlos daneben. Ich spreche sie an, keine Reaktion. Ich suche ihren Puls, finde ihn aber nicht. Ich denke nur, bitte mach jetzt nicht schlapp, tu mir das nicht an! Ich streiche ihr übers Gesicht, spreche mit ihr, reibe sie warm, und sie bewegt sich wieder. Sofort greifen Andrew und Omari sie wieder und rasen weiter nach unten. Ich folge mit Herzklopfen durch den nun dichten, kalten Nebel, auch etwas ängstlich, sie jetzt zu verlieren, denn auch, wenn es nur abwärts geht – ein Weg ist nicht wirklich zu erkennen, und das Camp möchte ich nicht verfehlen.

Der Weg ist sandig, so dass man mehr rutschte als läuft. Normalerweise mag ich diese Art Abstieg – wenn man weiß, wie man zu gehen hat, ist er sogar recht leicht und schnell zu gehen. Aber nach den Anstrengungen des Tages ist es eher eine Qual, tief sinke ich in den Sand, und es kostet mich nicht nur enorme Kraft, schnell zu laufen, sondern jetzt fangen auch meine Kniegelenke an zu schmerzen, so dass ich immer wieder stoppen musst, um sie zu lockern.

Kurz vor dem Camp hole ich die anderen ein und frage Kadri, wie sie sich fühle. Und sie sagt: Viel besser, alles wieder im grünen Bereich!  Gott, was war ich erleichtert! Sie sieht auch bereits wieder halbwegs wie ein Mensch aus. Der schnelle Abstieg ist wohl die Rettung gewesen. Wir hatten statt der üblichen 3 Stunden keine 2 gebraucht und stolpern nun nach heißem Dank an unsere Führer in unsere Zelte.

 

Das war mein Aufstieg – und ich habe meinen Erfolg letztlich drei Dingen zu verdanken: Den Menschen, die mit mir da oben waren, meinen Stöcken und einer unglaublichen Willenskraft, auf die ich wirklich stolz bin.

 

 

Inga kam mit Remid eine Stunde später, Alar ging es recht schlecht, er brauchte für den Abstieg über 4 Stunden. Aber sie hatten es geschafft.

 

Somit haben es von den 9 Personen unserer Gruppe 4 geschafft, nicht ganz 50 Prozent und meines Wissens damit der Durchschnitt. Am besten ist jedoch, dass von jeder Partei unserer Gruppe eine Person den Gipfel geschafft hat – von der einen Familie Inga, von der anderen Kadri, sowie Alar und ich. Und, nebenbei bemerkt, drei Frauen, 1 Mann...

Der Abstieg war damit aber noch nicht beendet. Wir müssen noch an diesem Tag weiter ins Mweka Camp. Das hieß kurz ausruhen, Packen und gleich weiter...

 

Ich unterhalte mich mit Inga, die zu meiner Kotzerei meint, „ Well, it seems, you really enjoyed yourself“ J, und zu Andrews Fürsorglichkeit, mir beim Erbrechen unter die Arme zu greifen: „No man of Estonia would have done such a thing! Maye you should marry him!“

 

Nachdem auch Alar eingetroffen ist, wir heißen Tee und eine Kleinigkeit zu uns genommen und uns etwas ausgeruht haben, packen wir und brechen schon wieder auf. Der Abstieg ist zwar vergleichsweise einfach, aber nach dem Tag, der in unseren Beinen steckt und mit so gut wie nichts im Magen sind wir ziemlich fertig. Trotzdem ist die Laune gut und wir lachen viel. Ivar und Raid geht es im übrigen wieder besser, mit dem Abstieg lassen auch die Kopfschmerzen bei ihnen nach.

Es ist bereits dunkel, als wir Mweka Camp erreichen. Beim Dinner sitzen wir nur zu viert – Nur die Jungen – Raid, Ivar, Kadri und ich. Alar und Inga sind aus ihren Schlafsäcken nicht mehr herauszubekommen und schon tief am Schlafen.

Auch wir halten uns nicht mehr lange auf und verschwinden ins Zelt. Aufs Zähneputzen verzichte ich.

 

Wir sind in den letzten 40 Stunden fast 25 Stunden gelaufen, von den letzten 17 Stunden etwa 12 Stunden auf den Beinen gewesen, mit so ziemlich nichts zu essen – es war nun genug.

 

Calvi und Heiki, die wir eigentlich im Camp erwartet hatten, sind doch schon nach unten gegangen. Von Papsi wissen wir über Handy, dass es ihm wieder gut geht.

 

 

6. Tag

 

Am Morgen sehen wir erst mal, an welch schönem Ort wir uns befinden – denn zum ersten Mal sehen wir die Spitze des Kilimanjaro von unten – ein unglaublicher Anblick, vor allem, wenn man sich sagen kann – da oben hab ich gestern gestanden!

 

Wir Gipfelstürmer entdecken noch etwas anderes: Wir alle haben einen sagenhaften Sonnenbrand im Gesicht! Mannomann, unsere Gesichter brennen feuerrot, unsere Lippen spannen, wir können kaum reden, geschweige denn lachen...

 

 

In den nächsten Tagen, ja fast Wochen, laufe ich mit einem furchtbaren Gesicht herum, überall Blasen, später hängt mir die Haut in Fetzen von Gesicht und Lippen... Wahrlich kein schöner Anblick – aber wenn das der Preis für den Gipfel war, dann habe ich ihn gern gezahlt…

 

Nach dem Frühstück geben wir unser sehr üppiges Trinkgeld an Remid, der es an die Träger verteilen wird. Ein dickes Extra-Trinkgeld gebe ich an Andrew, ohne den ich es nicht geschafft hätte.

Die Träger und Führer singen und tanzen nach dem Abbau der Zelte den Kilimanjaro-Song für uns (wirklich eine emotionale Szene, mir sitzt ein Kloß im Hals – die Träger sind wahrlich und wahrhaftig die wahren Helden dieses Berges), wir lassen uns mit der ganzen Truppe fotografieren.

 

Dann geht es in ca. 5 Stunden wieder bergab, bergab, bald wieder durch triefenden Regenwald, es ist rutschig, und Inga stürzt einmal recht schlimm.

 

Dann ist es geschafft, wir kommen in Mweka Village an, tragen uns in die Registrierungsbücher ein und werden im Dorf sogleich von Verkäufern umlagert. Ich kaufe mir ein Kilimanjaro- T-Shirt. Ivar schenkt mir seinen beim vor dem Aufstieg gekauften Kilimanjaro-Hut – er würde mir mehr gebühren als ihm – ich nehme das Geschenk gern an.

 

Wir müssen lange warten, bis unser Bus nach Arusha endlich kommt, er hatte unterwegs noch eine Panne. Zum Schluss werden wir recht ungeduldig, da die Verkäufer ziemlich zudringlich werden und es eine derartige Hitze ist, dass der Schweiß in Strömen fließt.

 

Bevor wir abreisen, müssen wir noch einen Streit zwischen Remid und den Trägern schlichten, denen er die Trinkgelder ausgezahlt hat. Da die Estländer in Euro gezahlt hatten, die Träger diese Währung aber nicht so genau kannten, glaubten sie, er sei weniger als der Dollar wert und waren zornig.

 

Remid hatte noch einiges dort zu regeln, so dass wir mit Omari nach Moshi fuhren, dort Mittag aßen und dann nach Arusha weiterfuhren, wo uns vor dem Hotel bereits Calvi, Heiki und Papsi gesund und strahlend (und um einiges sauberer als wir...) erwarteten.

Papsi war ins Hospital gekommen, hatte Medizin bekommen und es ging ihm wieder gut.

Als Heiki an dem besagten Abend im Mweka Camp bei ihrem Mann ankam (auf dem Weg hatte sie noch einen vierten, sehr ernsten Herzanfall), hörte sich ihr Führer im Lager nach einem Arzt um und hatte Glück: ein österreichischer Arzt war zufällig als Wanderer anwesend und untersuchte sie. Dabei hörte er Calvi im Nebenzelt husten, wurde bleich und untersuchte auch ihn. Er diagnostizierte ein Lungenödem (Remid hatte also tatsächlich recht gehabt mit seiner Vermutung) und drängte die beiden, noch in der selben Nacht weiterzumarschieren und ins Hospital zu gehen. Also gingen sie durch Nacht und Nebel weiter, 5 Stunden oder mehr, bis Mweka Village und fuhren weiter ins Hospital, immer begleitet von ihren treuen Führern.

Im Hospital stellte man ein Lungenödem bei Calvi fest, das aber wohl zu geringfügig zur Behandlung war. Er solle lieber noch mal in Estland zum Arzt gehen...

 

Nun, ein Lungenödem kann man nicht voraussehen, aber mit Herzproblemen den Kili zu besteigen, ist in meinen Augen schon ziemlicher Leichtsinn, und als 70jähriger, der ebenfalls das Problem mit dem Wasserlassen bei sich schon kannte, ebenfalls... die Höhe bringt die schlimmsten Dinge im Körper zum Ausbruch, da muss man absolut gesund sein... Und wenn nicht, sollte man dem Führer dies vorher zur Kenntnis geben, damit er frühzeitig die richtigen Entscheidungen treffen kann...

 

Wenn Kadri und ich bei Remid geblieben wären, Remid hätte Kadri nach unten geschickt...das wissen wir beide - und dass diese Entscheidung richtiger als unserer gewesen wäre, wissen wir auch... Dass nichts passiert ist, war reines Glück.

 

Doch genau dies braucht man, wenn man sich mit ihm anlegt, dem Berg ohne Gnade: Glück.

 

 

 

***

Es ist weit nach Mitternacht, ich befinde mich wie durch Zauber wieder in der sauberen, kühlen, organisierten deutschen Welt, mein Rucksack steht neben meinem Schreibtisch, an meinen Wanderschuhen haftet noch die afrikanische Erde, und ich schreibe diesen doch recht lang gewordenen Bericht zu Ende. Ich bin müde, aber glücklich, und will euch einfach gerne an meinem Glück teilhaben lassen.

 

Liebe nächtliche Grüße

Eure Anja

***