Während ich gerade auf der Terrasse bastle, steht unten Ryan auf der Treppe und kündigt an, man treffe sich heute Abend um 19.00 Uhr bei Serge im neuen Hotel auf einen Drink. O.K., sage ich, aber vorher muss ich noch was essen gehen, sonst bin ich nach dem 1. Drink schon so betrunken wie neulich Bennos Freundin. Ryan schlägt sich die flache Hand gegen die Stirn und verzieht das Gesicht: Oh noooooo, pleeeeease! Keine Sorge! Ich komme ein bisschen später nach.

Wie sich herausstellt, sind neue Gäste angekommen, eine Clique munterer Franzosen, die sich am Montag zu uns in die Boote gesellen werden. Ich kann schon meine Erfahrungsberichte der ersten Woche zum Besten geben, was die Vorfreude bei den Anderen steigert. Serge erzählt eine Menge von seiner früheren Arbeit beim WWF, den Anfangs-schwierigkeiten hier auf der Insel, dem Argwohn, mit dem ihm die Inselbewohner zunächst begegneten, bis sie merkten, dass mit der Walbeobachtung wieder Leben ins Dorf kam. Die Wandertouristen bleiben ja meist in den Hotels von Faial hängen, geben ihr Geld dort aus.

Es wird ein lustiger Abend, für mich fast ganz ohne Alkohol. Nach dem ersten Glas vinho verde, das Serge spendiert, steige ich um auf würzigen lokalen Pfefferminztee aus losen Blättern. Ryan insistiert, der gehe auf seine Rechnung, weil ich ihm die Unterhaltung so schön simultan übersetzt habe. Ob das alles so perfect war, wage ich zu bezweifeln, habe aber jetzt eine Hochachtung vor Konferenzdolmetschern und ihrer Konzentrationsfähigkeit.

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12. 6. 05 Sonntag

Nach diesem wunderschönen Sommertag heute kein Sonntagswetter. Den ganzen Tag hängen graue Wolken tief über der Insel, als würde es jeden Moment zu regnen anfangen. Gute Gelegenheit, mal die Bibliothek der base zu inspizieren. Wie zu erwarten, reihenweise Bücher und Bildbände über Wale aus allen Regionen der Erde. Ich zeige Maria die Allgemeine Einführung über Kleinwale und den Forschungsbericht einer Canadierin über Orcas. Sie notiert beide Bücher, die ich mit aufs Zimmer nehmen darf. Im Frühstücksraum mache ich mir noch eine Tasse grünen Tee und setze mich dann mit den Büchern auf meine zum Teil überdachte Terrasse, eingehüllt in eine Decke. Die Zahl der vielen Delfinarten ist verwirrend. Ich konzentriere mich auf die, die rings um die Azoren vorkommen – einige machen hier nur Station auf ihrer Wanderschaft durch die Meere, andere sind standorttreu, Tragzeiten, Sozialverhalten, Evolution vom Landtier zum Meeressäuger, ihr Nasenloch ist auch „gewandert“ – von der Spitze des Mauls praktischerweise auf den Hinterkopf, wo auch jener „Blubber“ sitzt, der eine wichtige Rolle bei der Echolotung spielt.

Und wie schon bei meinen Urwaldreisen taucht schmerzlich die Frage auf: Warum habe ich damals nicht Biologie studiert? Hätte, wäre, könnte – diese verflixten Konjunktive.

Nach fast drei Stunden intensiver Lektüre brauche ich Bewegung. Inzwischen hat sich der Himmel zwar fürs Wasserlassen entschieden, doch ich bin gut gerüstet, nehme zusätzlich noch den Regenschirm mit und gehe kurz an der base vorbei, um zu fragen, wie es für morgen aussieht. Same procedure as last Monday.

Über den Parkplatz mache ich mich auf in Richtung Piedades, entdecke in der Hafenkneipe Benno mit Freundin. Wollten sie nicht umziehen? Jetzt bloß den Schirm etwas schräg halten und unerkannt weiter laufen. Oben an der T-förmigen Kreuzung führt ein Weg den Berg hinauf. Der Regen stoppt immer mal für 5 Minuten, dann muss ich wieder den Schirm aufspannen. Wenn der Weg sich gabelt, nehme ich mal den rechten, mal den linken Abzweig, ziellos immer der Nase nach. Und die riecht jetzt wieder deutlich Minze.