Ein Taxi hält neben mir. Erst denke ich, der Fahrer will mich etwas fragen. Will er auch: Ob er mich irgendwohin kutschieren soll. Kundensuche also. Er spricht Portugiesisch, ich antworte auf Spanisch; das klappt sehr gut. Ich zeige auf meine Füße, sage, die funktionieren noch prima, und so plauschen wir ein Weilchen. Antonio stellt sich vor, erzählt, dass er in Madalena wohne, dort ein Haus und einen Weinberg habe und eine Freundin, Franziska, mit der ich viele Gemeinsamkeiten habe: offen, selbstbewusst, gern mal allein, trotzdem comunicativa, wie er behauptet Geschenkt.

Sein wiederholtes Angebot, mich ins Dorf zu fahren, lehne ich dankend ab, weil ich noch ein bisschen spazieren gehen möchte. Doch dann sehe ich, wie unten im Hafen die Boote zurückkommen, verabschiede mich von Antonio und gehe runter zur base.

Die Anderen berichten von vielen Delfinen, Orcas sogar. Morgen bin ich wieder dabei, sage ich und lasse mir von Herman noch eine Pille geben, die man für seekranke Kunden immer vorrätig hat (Navicalm, Wirkstoff Meclozin).  Er meint, die helfen garantiert und machten nicht müde; die mitgebrachten Pillen solle ich ruhig stecken lassen. Es ist richtig sommerlich warm geworden. Ich gehe mich umziehen und breche zu einem 2. Spaziergang auf, diesmal in die andere Richtung, aber immer am Meer entlang. Ein verfallenes Haus aus schwarzem Lavagestein lockt mich. Der kleine Anbau an der Ecke, wie ein Elfenbeinturm oder Erker mit Meerblick, ist ein kühler Schlupfwinkel, um sich einen Moment vor der heißen Sonne zu verstecken.

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Auf dem Weitermarsch begegne ich einem schmutzigen Pferd auf einem Grashügel, das aussieht, als käme es dort nicht mehr runter. Es schlägt mit dem Kopf wie ein autistisches Tier hinter Zoogittern, ist – wie auch viele Hunde hier – angebunden. Das Seil hat sich so verfangen, dass das Tier weder vor noch zurück kann. Das Pferd ist sehr scheu, legt die Ohren an, als ich mich nähere. Ich setze mich außerhalb seiner Fluchtdistanz einfach ins Gras, schaue weg und mache gar nichts. Nach einer Weile siegt seine Neugier. Es kommt mit gebeugtem Kopf auf mich zu und schnuppert. Nun kann ich vorsichtig nach dem Seil greifen, es vom Felsen abwickeln. - Pause. Als es merkt, dass nichts Schlimmes passiert, hebt es sogar noch den Huf und löst die Schlinge, in die es selbst hineingetreten ist. Schnaubende Nüstern signalisieren mir, dass die Anspannung weg ist. Wir haben uns verstanden haben. Auch das Kopfschütteln hört auf.

Ich ziehe weiter die Straße entlang, links ziemlich dichtes Grün, sehr interessant. Da muss ich bei Gelegenheit mal rein. Also doch wieder Urwälder. Ich schaue rechts aufs Meer, hoffe vergeblich, den Blas eines Wales zu sehen, doch so nahe an die Küste kommen sie wohl nicht.

Als ich ins Dorf zurück trödle, komme ich an der Bar von José Luís vorbei. Vor der Tür stehen Körbe mit kleinen Bananen, Orangen und Avocados – alles 1 € pro Kilo und von der eigenen Plantage, wie er mir erzählt. Die laranjas haben keine makellos Schale, sind klein und z.T. noch grün. Aber von anderen Reisen weiß ich, dass Apfelsinen nicht unbedingt das EU-genormte Valensina-Orange haben müssen, um gut zu schmecken. Ich lasse mir ein Kilo eintüten, nehme noch einen café com leite und beantworte in dem schon bewährten Porto-Spanisch-Gemisch Luís’ Fragen nach meinem Namen, Beruf, Wohnort usw. – Luís habe auch eine Freundin, erzählt er, doch davon dürfe seine Frau nichts wissen. Mit dem Versprechen, ihn nicht zu verraten, verabschiede ich mich und teste auf meiner kleinen Terrasse gleich mal die Orangen: der pure Saft und von angenehmer Süße. Kein Fehlkauf also.

Während ich da so sitze, belausche ich unfreiwillig ein Gespräch.  Mutter und Sohn sowie noch jemand, der außerhalb meines Blickfelds steht. Die Mutter erzählt weitschweifig von der heutigen Bootstour.  Der Sohn sabbelt dazwischen: „Mutti! Und dann habe ich gebrochen!“ Die Mama will dieses undelikate Detail diskret übergehen, doch der Sohn insistiert: „Und dann habe ich gebrochen!“ Das Ganze passiert noch ein drittes Mal. Ich kann kaum an mich halten und möchte den Leuten zuzurufen: “Und gestern habe i c h gebrochen!“

Dazu ist heute aber kein Grund mehr. Abends gehe ich in die Pizzeria „Onda Azul“ hinter der Kirche. Nachdem ich die Riesenteile auf den Tellern der Nachbartische gesehen habe, entscheide ich mich für die kleine Version einer Pizza und bin hinterher so pappsatt, dass ich noch einen Spaziergang raus auf die Mole mache.

Mit Müsli, Banane und Orange sieht das Frühstück doch gleich ganz anders aus. Dazu schlucke ich Hermans Pille, wild entschlossen, diesmal nichts den Fischen zu opfern.

Mit Vollgas prescht Pedro über die Wellen aufs offene Meer hinaus. Anfangs wundere ich mich noch, woher er so genau weiß, in welche Richtung er fahren muss, um auf Delfine zu treffen. Dieses Geheimnis wird sich später aufklären.

Die erste Gruppe Tümmler, die wir treffen, ist gerade auf Wanderschaft, schwimmt viel zu schnell, als dass es sich lohnen würde, zu ihnen ins Wasser zu gehen. Pedro dreht ab und düst mit Affenzahn zur nächsten Gruppe. Heute sind Stefan und ich, die potenziell Seekranken, als Erste dran. Und wir haben Glück. Zwei Adulte mit einem Subadulten, wie die Biologen das immer so schön nennen, schwimmen in ca. 5m Tiefe im Halbkreis um uns herum, tauchen dann aber leider ab. Insgeheim bin ich etwas enttäuscht, hatte mir die Begegnungen mit den Delfinen länger vorgestellt, gehofft, sie seien neugieriger und würden in unserer Nähe bleiben. Tun sie hier aber leider nicht. So wird es fast genauso wichtig, sie bei der Annäherung an das Boot zu beobachten – Whalewatching eben. Neugierig sind sie nämlich schon, denn eigentlich nähern sich die Delfine uns, nicht umgekehrt. Pedro stoppt bei Sichtung das Zodiac schon in großer Entfernung von den Tieren, schaltet den Motor aus und wartet. Es bleibt ihnen überlassen, die Distanz zu verkürzen oder uns zu ignorieren und einfach weiter zu schwimmen. Und sie kommen tatsächlich näher, umkreisen das dümpelnde Boot, springen manchmal und entfernen sich, wann es ihnen beliebt.

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Ich will also nicht unzufrieden sein. Es ist immerhin ein Privileg, dass ich für einen kurzen Moment bei den Delfinen sein darf, ohne dass sie gleich vor Angst das Weite suchen. Wieder an Bord, ziehe ich schnell die Windjacke über. Sie hält tatsächlich schön warm. Und was noch viel schöner ist – mir wird trotz des Geschaukels überhaupt nicht schlecht!

Wir verlassen den Ort, denn Pedro hat über Sprechfunk die Nachricht erhalten, dass an anderer Stelle Rundkopf-Delfine (dauphin risso) aufgetaucht sind – eine eher seltene, sehr scheue Art. Herman erzählt, er habe hier 6 Jahre gebraucht, ehe es ihm gelang, sie mal im Wasser zu begleiten. Von dem deutschen Pärchen hat nur sie das Glück, einen Risso zu sehen. Er geht zunächst leer aus, weil er in die falsche Richtung schwimmt. Aber Pedro gibt sich Mühe, seine Gäste zufrieden zu stellen, überholt die Delfine in großem Bogen und nähert sich ihnen von seitwärts vorn, bevor er wieder das Kommando gibt und mit  seinem: Go, go, go!!! zur Eile mahnt. Gleich danach aber tönt er: Slowly! Don’t splash! Wir an Bord Gebliebenen grinsen uns zu. Pedros Go-go-go-slowly-don’t-splash wird bald zum geflügelten Wort in der Gruppe. Auch Christian und Brigitte tun sich anfangs schwer mit den Rissos, obwohl die Situation vom Boot aus so ungemein günstig erscheint: Die Delfine schwimmen geradewegs auf die beiden zu. Trotzdem kommen sie wieder an Bord, ohne die Tiere gesehen zu haben. Hattet ihr Seetang auf den Taucherbrillen oder was? fragt Pedro. Zähne klappernd schütteln beide die Köpfe. Bei einem erneuten Versuch klappt es dann aber. Überraschend werden auch Stefan und ich nochmals aufgefordert, uns starklar zu machen – und das, wo ich gerade so schön warm und wieder trocken bin und mich meines kotzfreien Lebens erfreue. – Blödsinn! Ein angeblich so seltenes Ereignis lasse ich mir doch nicht entgehen und habe gleich beim ersten Mal Glück: Für vielleicht 20 Sekunden kann ich drei unter mir schwimmende Rissos mit den Augen verfolgen. Ihre hellen Körper heben sich schön von dem sie umgebenden Tiefblau ab. Faszination pur!

Und dann dürfen wir sogar noch einmal ins Wasser. Diesmal ist die Risso-Gruppe so groß, dass es mir schwer fällt, sie zu zählen – 11 oder 15??? Hübsch sind sie allemal mit ihren knuffig abgerundeten Schädeln. Leider kann ich von oben ihre Augen nicht sehen, die so eindrucksvoll sein sollen. – Doch! Einer dreht sich etwas auf die Seite, guckt zu mir hoch und beäugt mich. Am liebsten würde ich ihm zuwinken, lasse es aber, weil ich nicht weiß, ob die Geste ihn erschrecken könnte.