18. 6. 05 Samstag

Die Schlechtwetterperiode scheint endgültig vorbei zu sein. Zum Frühstück erscheint die Freundin von Hélène tatsächlich im Tauchanzug (la „combi“ = combinaison). Eine gute Figur hat sie zwar, doch ein bisschen komisch sieht das am Tisch schon aus. Sie hat den Schnorchel und die Tauchermaske vergessen! flüstert Hermínia mir ins Ohr. Mir fällt beinahe der Quark wieder aus dem Gesicht, ich fange an zu husten und flüchte raus auf die kleine Terrasse des Frühstücksraums. Das Meer scheint besonders ruhig heute und der Himmel strahlend blau. A Perfect Day for Bananafish würde Salinger sagen.

Obwohl wir auf dem Wasser noch nichts gesehen haben, bedanke ich mich schon – ja, bei wem eigentlich? – für diesen schönen Abschiedstag. Die erste Delfingruppe wandert gerade und hat keine Lust, mit uns zu spielen. Aber der Turm meldet Rissos an anderer Stelle. Ich hatte Herman gesagt, dass ich, falls wir mit ihnen schwimmen können, als Letzte ins Wasser gehe, weil die Anderen seit ihrer Ankunft überhaupt noch keine Chance hatten, die Tiere im Wasser zu erleben. Er teilt mich mit dem Apnoe-Taucher David aus Lyon als 4. Paar ein. Zuerst geht ein frz. Pärchen ins Wasser, gefolgt von Hélène mit ihrer Freundin (die dann aber doch an Bord bleibt) und schließlich Francesca. Sie hat weder eine combi mit noch Schnorchel oder Maske – nur eine Schwimmbrille und ihren Badeanzug, über dem sie – aus welchem Grund auch immer – eine Schwimmweste trägt. Panik?

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Wegen des schlechten Wetters hatte Herman mit den Anderen keine vorbereitenden Übungen an der Badestelle machen können, erklärt jetzt allen auf Englisch wie man sich ins Wasser gleiten lässt. Aber das ist wohl nicht bei allen angekommen. Jedenfalls lässt sich das frz. Paar recht unsanft ins Meer platschen mit der Folge, dass der Mann Schnorchel und Mund gleich voller Wasser hat und prustend wieder am Bootsrand hängt. Seine Madame schwamm zwar auf Maries Zeichen in Richtung der Möwen, die auf der Oberfläche tanzen, sah aber nur einen Schwarm kleiner Fischchen – das Möwenfutter. Beim 2. Versuch deselben Paares krachen sie so laut mit ihren Flossen aufs Wasser, dass die Delfine wohl Reißaus genommen haben. Marie und Herman rufen ihnen noch hinterher don’t splash!!! , aber vergeblich. Danach fror Madame jämmerlich, und auch ihr Gatte hatte die Nase voll.

Dass Hélène eher wie eine Tonne ins Wasser fällt, war mir klar. Trotzdem habe sie  drei Rissos gesehen, erzählt sie. Hélène dann aber über eine kleine Leiter am Heck wieder ins Boot zu hieven, war ein fast absurdes Schauspiel.

Nun David und ich. Erst nach einigen fragenden Blicken zu Marie (wo sind sie denn, die Rissos?) sehe ich sie plötzlich, etwa 10m vor meiner Nase! Die Nikonos hängt schussbereit um meinen Hals. Ich hatte bereits an Bord Blende, Verschlusszeit und Entfernung auf Verdacht eingestellt, denn mein kleiner Unter-Wasser-Panzer ist noch ein altmodisches, aber sehr robustes Teil ohne jede Automatik. Jetzt halte ich einfach drauf zu und drücke ab.

Ein einzelner Risso schiebt sich zwischen die Gruppe, die ich gerade fotografiere, und mich, verharrt im Wasser und schaut mich an. – Ich drücke wieder auf den Auslöser. Und gleich noch mal. Aber was will er? Ich lasse die Nikonos los und beobachte ihn. Ganz langsam umkreist er mich, lässt mich nicht aus den Augen. Ich drehe mich um die eigene Achse. Es kribbelt so unter meiner Tauchjacke, als hätten sich Käfer darunter verfangen. Nicht auf dem Rücken, sondern vorn. Ich greife nach dem Reißverschluss, versuche zu kratzen. Der Risso und ich schwimmen immer noch umeinander herum. Und es kribbelt weiter. Dann plötzlich zischt er mit einem kräftigen Flukenschlag in 2m Abstand an mir vorbei und reiht sich in die Gruppe ein. Die Käfer sind weg. Wo ist David? Er dümpelt hinter mir, macht das o.k.-Zeichen, hat sie also auch gesehen. Ein Pfiff von außerhalb des Wassers und Gebrüll: Stop! Artig kehren wir sofort um und gehen wieder an Bord. Aber was war los? Haben wir etwas falsch gemacht?

Wir waren beide so auf die Delfine konzentriert, dass wir – die Köpfe natürlich im Wasser – gar nicht merkten, wie wir geradewegs auf einen Schwarm dieser gefährlichen Medusen zusteuerten, deren Fäden höchst unangenehme Verletzungen verursachen können.

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Ich erzähle von den Käfern in meiner Tauchjacke, die so gekribbelt haben. Marie lacht. Der Risso hat Dich per Echolot abgesondet, wollte wissen, wer Du bist und ist dann zu seinen Freunden zurück geschwommen und hat ihnen von Dir erzählt. Ich bin sprachlos. – Wirklich? Ja. Wenn sie das aus geringer Entfernung machen, spürt man es auf der Haut. Es war wie Kitzeln, nicht? Herman ruft: So! – Wer will noch mal – wer hat noch nicht?

David und ich wollen nicht unverschämt sein, lassen die Hände unten. I want to go! I want to go! sagt Marie und hüpft ganz aufgeregt, aber sie muss ja am Ruder bleiben. Da sich niemand meldet, darf ich mit David noch zweimal ins Wasser, denn die Rissos haben offenbar noch nicht genug von uns, schwimmen weiter um das Boot. Sie geben uns eine wunderschöne Abschiedsvorstellung, die mit 2 Klicks meiner Nikonos endet. Natürlich hätte ich gern mal einen Delfin berührt oder, noch besser, mich von einem anrempeln lassen. So bleibt es eine Faszination aus respektvoller Distanz, und die kribbelt in der Erinnerung weiter.