Ich gebe zu, die Versuchung, mit den Schildkröten eine Runde Scrabble zu spielen ist groß: Doch für unsere 15 köpfige Besuchergruppe geht es auf einem kleinen Pfad weiter über die Insel. Auf dem Weg versperren immer wieder schwere Kolosse den Weg, fast alle der 130 hier lebenden Schildkröten bewegen sich frei. Das Gesetz auf Moyenne ist deshalb eindeutig: „Schildkröten haben Vorfahrt“ lautet der Hinweis an der Palme.
 
An einer kleinen Hütte hält Jenny an. In zwei Räumen hat Brendon Grimshaw sich hier sein eigenes Museum geschaffen. Auf einem Tisch liegen Muscheln, an der Wand hängen unzählige Zeitungsartikel. Die meisten von ihnen sind durch die Meeresluft schon fast vergilbt und kaum noch lesbar. Sie alle erzählen die Geschichte des ungewöhnlichen Engländers. „Mein privates Paradies“ lautet die Überschrift einer Story, die nächste: „Das paradiesische Leben des Robinson Grimshaw.“ Sogar Hollywood ließ sich beim Dreh des Films „Cast away-Verschollen“ mit Tom Hanks von ihm inspirieren, steht in einem anderen Artikel. Darunter ein Foto von Grimshaw, zusammen mit einem dunkelhäutigen Mann. Beide lachen in die Kamera, sie sehen glücklich aus. Der Name des Seychellois, so die junge Frau, sei René, von der Presse wurde er irgendwann nur noch „Freitag“ genannt. Und sie erzählt eine Geschichte ohne Happy End.
 
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1962 bekam Brendon Grimshaw die Insel Moyenne zum Kauf angeboten. Der Journalist überlegte nicht lange und erwarb sie für einen Spottpreis, gerade mal 10.000 Britische Pfund zahlte er damals für das Eiland. Heute, so die Schätzung von Experten, ist die Insel 50 Millionen Dollar wert. Seit 1972 lebt der Brite als moderne Version des Robinson Crusoe auf Moyenne. Als er hier ankam, gab es gerade mal vier Bäume auf der Insel. Bis heute hat Grimshaw 16.000 neue gepflanzt. Sein Paradies, so war es sein Plan, sollte eigentlich eines Tages sein Adoptivsohn René erben. Der Einheimische kam irgendwann zu ihm auf die Insel, half ihm bei der Aufforstung und blieb. Doch das Schicksal wollte es anders: „Freitag“ starb vor einigen Jahren an Krebs. Ein schwerer Schlag für den Inselbesitzer.
 
Wir folgen Jenny wieder nach draußen zu einer offenen hölzernen Kapelle, daneben befinden sich vier steinerne Gräber. Nein, René wurde hier nicht bestattet, klärt sie uns auf. Seine Familie habe gewollt, dass er auf dem Festland beigesetzt wird. Dafür fand Grimshaws Vater Raymond im Alter von 92 Jahren hier seine letzte Ruhe. In den beiden Gräbern neben ihm liegen zwei unbekannte Piraten, die vor langer Zeit in den Gewässern rund um die Seychellen ihr Unwesen trieben. Die Vergangenheit hat die Gegenwart allerdings inzwischen eingeholt: Aktuell „floriert“ die moderne Piraterie wieder im Indischen Ozean. Wer sich im vierten Grab befindet, möchte eine junge Australierin wissen. „Dieses hat Grimshaw für sich selbst reserviert“, verrät uns die Mitarbeiterin von Creole Tours und sagt auch, wem der Einsiedler sein Paradies vermachen wird, wenn er eines Tages stirbt. Denn er hat weder Kinder noch Verwandte. Für diesen Fall hat der Engländer zusammen mit der Regierung hat den kleinsten Naturpark der Welt gegründet, den Moyenne Island Nationalpark. Dieser soll garantieren, dass auf Moyenne auch in Zukunft nie ein Hotel gebaut wird. Das ist Grimshaws größter Wunsch und letzter Wille.