(Fortsetzung von "Ecuador Reisebericht: Teil 2")

 5.Januar

„Aufstehen!!!“  Tönte durch das Insektennetz am Fenster und ich saß aufrecht im Bett. Wer machte denn so früh schon einen Höllenlärm?  Ich hatte mich richtig erschrocken, als Kornelia um unsere Zimmer lief und den Wecker spielte. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es wirklich schon Zeit zum Aufstehen war. Sechs Uhr und ich war noch hundemüde. Am Waschbecken ließ ich Wasser in ein Glas laufen zum Zähneputzen und sah mit verschlafenem Blick die braune Brühe, die aus dem Hahn kam an. War das Wasser schon die ganzen Tage so braun gewesen? Oder erst seit heute? Seit dem zweiten Tag benutzte ich nicht mehr das Mineralwasser aus der Flasche zum Zähneputzen, sondern nahm das Flusswasser direkt aus dem Hahn. Probleme hatte ich bisher nicht. Also konnte ich auch das braune Wasser nehmen, denn die Krankheitskeime, sollten welche drin gewesen sein, waren sowieso sehr wahrscheinlich unsichtbar. Und zum Waschen konnte ich es auch gleich nehmen, vielleicht verlieh es mir ein bisschen Farbe im Gesicht.

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Nach dem Frühstück hieß es Abschiednehmen. Der Koch, den ich mittlerweile richtig lieb gewonnen hatte (mit dem Koch sollte man sich immer gut stehen), und ein paar andere, die nicht mit uns im Kanu in die Zivilisation zurückkehrten, standen am Ufer und schauten uns zu, wie wir in einer langen Menschenkette unser Gepäck hinunter ins Kanu luden. Als alle Packsäcke und Reisetaschen untergebracht waren, stiegen wir hinterher und fuhren winkend schweren Herzens flussaufwärts. Das war nun unser Dschungelabenteuer. Mir kam das noch alles so unwirklich vor, und doch hatte ich mich in Bataburo, mitten im Urwald, wie zu Hause gefühlt. Die Hitze war gar nicht so schlimm gewesen, und wenn ich zurückdenke, muss ich sagen, dass ich mich die ganze Zeit dort wohl gefühlt hatte. Für mich stand fest, dass ich unbedingt wieder in den Dschungel fahren würde. Auch heute, da ich diese Zeilen schreibe, überkommt mich bei dem Gedanken an Regenwald, morastige Wege und dieses saftige, dunkle Grün der Pflanzen, ein wohliges Gefühl und der Wunsch, wieder dort zu sein.
Wir folgten dem gewundenen Weg des Rio Tiguino, der sich in vielen Kurven und Windungen durch den Wald schlängelt. Es war noch recht früher Morgen und ich war dankbar für die wärmenden Sonnenstrahlen.
 

 
Papageien flogen über den Fluss und sogar Tukane bekamen wir wieder zu Gesicht. Auf einer Sandbank entdeckten wir eine Schildkröte, die gerade bei der Eiablage war. Langsam wurde es wärmer und so genoss ich den erfrischenden Fahrtwind. Das Schaukeln des Kanus und das monotone Geräusch des Bootsmotors wirkten einschläfernd. Jeder hing irgendwie auf seiner Sitzbank und kämpfte gegen die Müdigkeit. Das war nun mal gar nicht so einfach, immerhin standen die Bänke ziemlich eng, so dass für die meisten von uns einfach zu wenig Platz da war, um mal die Beine auszustrecken. Von Aufstehen und sich die Füße vertreten ganz zu schweigen. Irgendwie hatten wir da das falsche Boot gemietet, wozu gibt es denn Luxusdampfer mit Swimmingpool an Bord und Tennisplatz? Wir saßen da nun für geschlagene vier Stunden – sofern alles gut ging – wie die Ölsardinen eingepfercht in diesem Kanu fest. Und das alles ohne Sonnendach. Doch die Müdigkeit wurde ruckzuck von Gerhard über Bord gespült. Aufgrund der Enge hatte er seine Füße zur Seite auf die Bootswand gelegt, und in einer schön scharfen Kurve erwischte die Bugwelle seinen Fuß und das Wasser spritzte im hohen Bogen über uns!  Schlagartig war ich hellwach und Martina und Gaby, die vor uns saßen, hatten mindestens genauso viel Wasser abbekommen. Meckernd wischte Gaby ihre Brille trocken und ich hörte heraus, dass sie ihren Regenponcho anziehen wollte und  Gerhard diese Duschaktion dann gerne noch einmal wiederholen dürfte.
Da nun schon mal fast alle wieder wach waren, nutzte Richard die Gelegenheit und verteilte Tapirfleisch zum Probieren. Es war sehr dunkel und ganz zart. Er hatte das Fleisch von den Huaoranis, die es getrocknet und geräuchert hatten. Hoffentlich war das nicht „unser“ Tapir...

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Auf einer Sandbank legten wir eine Pause ein. Da es keine Toiletten gab, suchte sich jeder ein stilles Örtchen im Gebüsch, wohl aufpassend, dass sich kein Ameisennest in der Nähe befand. Außerdem hatten wir Glück, dass keiner von uns unerfahrenen Touristen in eine Falle der Indianer latschte, und von Kannibalen verspeist wurde. Überall raschelte es im Gebüsch, und nach und nach tauchten alle wieder auf.
Das sandige Ufer wurde von einem großen Baum überschattet, so dass sich dieser Platz außerdem vorzüglich zum Picknick eignete. Als wir weiterfuhren, zeugten nur noch Spuren im Sand vom  Besuch der „Picknicktiere“.
 

Nach ein paar Minuten setzte der Motor aus, und er wollte einfach nicht mehr anspringen. Wir rammten das Ufer und saßen erst einmal mit dem Boot fest. Günter und Ulli saßen vorne im Boot auf der ersten Bank und ich konnte gut beobachten, wie Günter direkt neben sich auf einem Ast in absoluter „Fotografier-mich-Pose“ ein Morpho-Falter entdeckte! Morphofalter sind die ganz großen leuchtend blauen Schmetterlinge, die bei den meisten Menschen eine Reihe von „oooh“ und „aaaaah“- Rufen auslösen. Wenn sie dann auch noch in der „Fotografier-mich-Pose“ vor einem Fotografen sitzen, erhöhen sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit bei Letzterem Blutdruck und Pulsschlag. In genau dieser Situation war Günter, aufgeregt schaute er durch seine Kamera und richtete das Objektiv auf den Schmetterling, der schön brav da saß und sogar seine Flügel öffnete, damit Günter das leuchtende Blau gut drauf bekam. Ulli beobachtete ihn dabei fasziniert. Ich sah, wie er nur noch schnell fokussierte um dann auf den Auslöser zu drücken. Gerade als er den entscheidenden Finger zum Auslöser bewegte, griff unser vorderer Bootsführer in genau den Busch, in dem der begehrte Morpho saß und zog an einem Ast das Boot zur Seite. Und der Falter war weg. Und Günter hatte Tränen in den Augen. Ich musste ein wenig über diese komische Situation lachen, aber in Wirklichkeit tat er mir leid. Ich wusste, wie weh das tut, wenn  man praktisch schon das fertige Bild durch den Sucher sieht und genau weiß, dass es eine einmalige Situation ist, und dann innerhalb vom Bruchteil einer Sekunde dieses Bild zerstört wird.

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Obwohl es diesmal hell war und wir uns während der Fahrt die abwechslungsreiche Gegend anschauten (Jawohl, abwechslungsreich: denn es gab höhere Bäume und niedrigere, Hellgrüne und Dunkelgrüne, mal saß die Schildkröte rechts, mal saß sie links...), wurde es nach fünf Stunden auf dem Fluss endlich  Zeit, dass wir mal irgendwo ankamen.
Da tauchte sie auch schon vor uns auf: die Brücke, an der wir vom Boot in den Bus umsteigen wollten. Doch obwohl wir rund eine Stunde zu spät waren, stand dort kein Bus. Entweder kam er noch später, oder aber er war schon wieder weg. Uns blieb nichts anderes übrig als abzuwarten. Und was macht eine Frau wenn sie Zeit hat? Sie gibt Geld aus. Und ich bin eine Frau und hatte Zeit. Und die Gelegenheit dazu. Eine Indianerin lief um uns herum und bot eine Hängematte  zum Kauf an. Als der Bus endlich kam, war sie um 10 Dollar reicher und ihre Tasche ein paar Kilo leichter, und ich hatte ein paar Kilo mehr zu tragen und war um 10 Dollar ärmer. Beide waren wir glücklich, da jeder glaubte ein gutes Geschäft gemacht zu haben.
 

Das Gepäck wurde wieder auf dem Dach festgemacht und die Fahrt konnte weitergehen. Bis auf Gerhard, Richard und mich saßen alle wieder unten im Bus auf den Holzbänken. Wir Drei kletterten die Eisenleiter an der Seite des Busses hinauf und machten es uns oben auf dem Dach bequem. Hatte denn noch keiner bemerkt, dass es wirklich Spaß da oben machte? Wenn es unbequem gewesen wäre, hätten wir uns doch zumindest auf der Rückfahrt auch unten hingesetzt. Da noch andere Touristen mitfuhren, war es ziemlich eng unten und bestimmt kein Vergnügen. Wir bezeichneten das „Unterdeck“ als „unterste Touristenklasse“.
Ich hatte mich ziemlich weit vorne auf die Packsäcke gesetzt, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, damit ich den staubigen Fahrtwind nicht direkt in die Augen bekam. So konnte ich die beiden Herren auf dem Heck des Busses gut beobachten, wie sie nebeneinander auf dem Rücken lagen und  in den Himmel schauten. Wie die beiden Rentner aus der Muppet-Show sahen die beiden aus. Und ihre wortkarge Unterhaltung war auch genauso amüsant. Jedenfalls hörte ich Gerhard irgendwann sagen: „Ja, ja, so lässt es sich leben. Das Einzige, was uns den Tag verderben könnte, wäre jetzt ein starker Regenschauer.“ Wie recht er doch hatte...

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Aber der Himmel war strahlendblau und es schien, dass uns der Tag nicht verdorben werden konnte. Mir fiel ein, dass ich noch eine Tafel Schokolade in meinem Rucksack hatte, und dass es wohl ein passender Moment für diesen süßen Genuss war. Bei einem kurzen Stop besorgte uns Richard kalte Cola (wo er die mitten im Dschungel herholte, weiß ich nicht) und ich wollte die Schokolade auspacken. Das Ambiente stimmte, es war einer der vollkommenen Momente, die sich nicht wiederholen lassen. Sonnenverbrannt, verschwitzt und staubig,  mitten im Dschungel auf einem Busdach, eine eisgekühlte Cola in der einen Hand und eine butterweiche Tafel Schokolade in der anderen. O.k., ganz so perfekt war der Augenblick wohl doch nicht, auf die Schokolade mussten wir jedenfalls verzichten.
Der Fahrtwind war so stark, dass er mir mein Kopftuch, das ich mir zum Schutz der langen Haare umgebunden hatte, fast vom Kopf wehte. Einmal konnte ich es gerade noch mit einer schnellen Handbewegung aus einer Windbö retten, bevor es auf der staubigen Straße landete. Ab da verzichtete ich auf das Tuch, steckte es in meinen Rucksack, und hoffte, dass die Haare nicht zu sehr verfilzten.
Nach drei Stunden Fahrt tauchte endlich der Rio Napo vor uns auf. Über eine lange Brücke gelangten wir ans andere Ufer nach Coca, wo wir, dreckig wie wir waren, gar nicht auffielen. Die ganze Stadt war nämlich auch dreckig. Was soll man auch mitten im Urwald von einer Stadt erwarten? Jedenfalls waren wir alle froh, als wir uns im Hotel unter der Dusche zumindest unseren Staub abspülen konnten. Wenigstens kannten die hier fließendes Wasser, beim Anblick der Stadt kamen mir da nämlich Zweifel auf.
 

Die Dusche tat richtig gut, aber meine Haare waren vom Fahrtwind so zerzaust und vom Dreck verklebt, dass ich ewig brauchte bis ich wieder mit dem Kamm einigermaßen hindurchkam. Wohl denen, die eine Kurzhaarfrisur trugen oder aber von der Natur mit einer etwas spärlicheren Haartracht ausgestattet waren.
Als ich wieder aussah wie ein halbwegs zivilisierter Mensch, bin ich mit Gerhard und Richard erst ins Internetcafé gegangen (ich musste doch meiner Familie von meinen Dschungelabenteuern berichten) und habe dann auch gleich mal zu Hause angerufen. Das Gespräch war erstaunlich preiswert, was ich auch gleich Gerhard erzählte: „ Mensch, war das billig! Ich habe total lange nur geredet und geredet!“ worauf Gerhard auf seine typisch trockene Art antwortete: „Das hab ich mir schon gedacht, dass Du am Telefon nur geredet hast. Was sonst?“
Nun fehlte mir eigentlich nur noch ein Blasrohr. Das wollte ich unbedingt als Souvenir und als Andenken an den Dschungel haben. Vielleicht konnte ich ja zu Hause eine neue Schieß-Disziplin einführen...
Richard wollte mir bei der Suche nach dem Blasrohr behilflich sein, aber sämtliche Läden in Coca hatten entweder schon zu oder aber sie verkauften keine Blasrohre. Dabei hätte mir ein Einziges schon genügt.

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Ohne Blasrohr kehrte ich schließlich in das Hotel zurück. Ich war richtig enttäuscht, ich wollte doch eines aus dem Dschungel und kein Exemplar, das extra für Touristen handlich klein hergestellt wurde, damit es auch für den Heimtransport in den Koffer passte.
Die Klimaanlage in meinem Zimmer lief auf Hochtouren. Da ich eigentlich ein sparsamer Mensch bin, gerade was Energie angeht, schaltete ich sie erst einmal aus. Es reichte doch, wenn sie abends, wenn ich ins Bett ging, für ein, zwei Stunden einschaltete und so für kühlere Luft sorgte.
Das Abendessen nahmen wir an einer langen Tafel auf der Terrasse am Flussufer ein, es war so richtig romantisch. Da konnte man fast schon die dreckige Stadt hinter sich vergessen. Auch ein Lichtblick in Sache Blasrohr tat sich auf: unser Kellner hatte einen Verwandten, der indianisches Kunsthandwerk in der Stadt verkaufte, und nach dem Essen wollte er uns zu ihm bringen. Vielleicht hatte er ja mein lang ersehntes Blasrohr!
Also hieß es: schnell kauen, runterschlucken und ab in die Stadt, Blasrohr kaufen.
Tatsächlich! Da hing wirklich eines an der Wand! War mein Tag doch noch gerettet.  Er hatte auch Hängematten, von den Indianern gefertigt. Die kosteten bei ihm allerdings 50,-$. Also hatte ich am Fluss doch einen guten Handel gemacht.
Mit dem Blasrohr unter dem Arm und den Pfeilen in der anderen Hand, musste ich auch keine Angst mehr haben, alleine durch die Straßen zu laufen. Ich brauchte nur immer vor mir herzumurmeln: Curare, Curare, Curare...  und potentielle Ganoven würden einen Bogen um mich machen.
Unser Hotel hatte auf der Uferterrasse einen Swimmingpool, der in der Nacht noch eifrig genutzt wurde. Da ich aber noch so viel zu schreiben hatte, und keine Lust noch mal die Haare nach dem Schwimmen zu waschen, ging ich nur mal kurz ans Becken, um mit dem Finger die Wassertemperatur zu testen. Gerade als ich mich hinhockte, kam Gerhard an mir vorbei ins Becken gesprungen. Netterweise hatte er die Beine dabei angezogen, so dass ich eine ganze Ladung Wasser abbekam und triefend nass am Beckenrand stand. Vielen Dank, Gerhard, das war sehr nett von Dir. Da hätte ich auch gleich selber hineinspringen können.
Wieder in meinem Zimmer wollte ich die Klimaanlage wieder einschalten, da es unerträglich heiß und schwül war. Es war nicht zu übersehen und zu überfühlen, dass wir uns in den Tropen befanden. Ich merkte schnell, warum die Klimaanlage am Mittag lief, denn sie ließ sich nun nicht mehr einschalten, egal welche Knöpfe ich drückte und in welche Richtung ich den Drehknopf drehte. Da hätte aber mal einer vom Hotel auch einen Zettel dranhängen können: Bitte nicht ausschalten, da sie nicht mehr einzuschalten geht.
 


Allein unterwegs
 
6.Januar
 
Die Nacht war schrecklich. Viel zu heiß. Nach so einer Nacht konnte der Tag doch nicht besser werden, oder? Jedenfalls ließ das Frühstück um 6 Uhr schon erahnen, wie der Tag werden würde. Erst hatte ich schlecht geschlafen, dann bekam ich kein Frühstück. Die Bedienung war nämlich so wenig ausgeschlafen, dass sie es nicht innerhalb einer halben Stunde fertig brachte, uns das Frühstück zu servieren. Hätte Richard nicht selber den Kaffee übernommen, hätten wir auf den wohl auch noch verzichten müssen (auf den Kaffee, nicht auf Richard) Der Verzicht wäre uns aber nicht sehr schwer gefallen, denn der Kaffee schmeckte überhaupt nicht. Die meisten von uns saßen also mit leerem Magen im Bus Richtung Flughafen. So fing also der Tag an. Und das war noch längst nicht alles. Wir flogen zwar von Lago Agrio aus, einer Stadt etwas nördlich von Coca, aber die Ticketbestätigung und Platzreservierung wurde am Flughafen in Coca vergeben. Dort stiegen wir aus dem Bus und gingen an den Schalter.

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Unsere Tickets sollten auf den ersten Flug am Morgen gebucht sein, und was bekommt Richard gesagt? Wir könnten erst um viertel nach Zwölf fliegen! Die arme Flughafenangestellte beharrte darauf, dass es keine andere Möglichkeit gäbe, als bis zum Mittag auf den zweiten Flug zu warten. Sollten wir tatsächlich umsonst so früh aufgestanden und ohne Frühstück hierher gekommen sein? Da kannte sie aber unseren Richard nicht. Er diskutierte und schimpfte so lange, bis wir noch einen Platz im vollbesetzten Bus nach Lago Agrio bekamen. Die Sache war nämlich die, nicht nur der Flug war ausgebucht, sondern der Zubringerbus zum Flughafen war auch schon voll besetzt. Also rückten alle eng zusammen, Stehplätze wurden verteilt und ab ging die Fahrt nach Lago Agrio. So, das hätte schon mal geklappt. Wir hatten nämlich noch viel vor, wollten zum Äquatordenkmal und zum Pululahua-Krater und dann noch weiterfahren in Richtung Küste. Der Tag war also vorerst, zumindest bis zum Flughafen in Lago Agrio gerettet.
Es war heiß und eng im Bus, zum Teil stand das Gepäck im Mittelgang und wurde zum Sitzen benutzt. Wir waren alle froh, als wir endlich diese Sardinenbüchse verlassen durften. Jetzt stand uns noch der Flug bevor. So klar, dass wir wirklich mitfliegen durften, war es auch am Flughafen noch nicht. Richard musste weiter diskutieren und erst als alle anderen Passagiere eingecheckt hatten, haben wir erfahren, dass wir auch mit durften und haben schnell unser Zeug gepackt. Also hieß es für uns, schnell einchecken, bevor die es sich wieder anders überlegten. Dann kam die Passkontrolle. Zumindest weiß ich jetzt auch, warum die Passkontrolle Passkontrolle heißt: Sie dient nämlich dazu, zu kontrollieren, ob man seinen Pass noch hat.
Ich griff also zu meiner Umhängetasche, weil ich eben diesen Pass herausholen wollte, und griff ins Leere. Der Schreck saß tief. Ich war mir absolut sicher, dass ich beim Frühstück noch meine Umhängetasche über der Schulter hängen hatte (daher der Name: Umhängetasche) und nun war sie weg! Und mit ihr mein Pass, die Visakarte, etwas Geld und die Schlüssel für die Schlösser am Packsack und am Koffer. Etwas Hoffnung hatte ich noch, vielleicht hatte ich die kleine Tasche vor der Fahrt in meinen Rucksack getan, damit sie nicht geklaut wurde. Ich leerte den Rucksack und wühlte in allen Seitentaschen – doch nirgends war sie oder wenigstens der Pass. Wir schauten noch mal im Bus nach und riefen das Hotel an. Die Tasche blieb verschwunden. Richard vermutete, dass ich die Tasche in den Packsack gesteckt haben könnte und meinte, in Quito würde sich alles aufklären. Ich wünschte mir, dass er recht hatte! Allerdings war es mir ein Rätsel, wie ich zuerst den Packsack packen kann, mit dem Schloss abschließe, den Schlüssel vom Schloss in die kleine Tasche stecken kann und diese Tasche dann in den Packsack packe. Geht doch gar nicht, wenn er schon abgeschlossen ist! Jedenfalls wetteten wir um ein Bier. Hoffentlich verlor ich die Wette.
 

Wenigstens verlief der Flug ohne Zwischenfälle, ich war mittlerweile auf fast alles gefasst. Schlecht geschlafen – kein Frühstück – schlechter Kaffee – Pass weg. Was konnte sonst noch passieren?
 In Quito machten wir einen kleinen Abstecher zum Hotel, wo wir nur schnell unsere zwischengelagerten Sachen einpackten und die Schmutzwäsche dort ließen. Zuallererst besorgte Richard eine Zange, um die Vorhängeschlösser an meinem Koffer und dem Packsack aufzubrechen, da die Schlüssel ebenfalls abhanden gekommen waren.

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Ich rief noch ganz schnell meine Eltern an, damit sie meine Visakarte sperrten, denn in der Aufregung konnte ich natürlich keine Telefonnummern für die Visa-Sperrung finden. Von dem Pass sagte ich aber noch nichts, ich wollte sie nicht beunruhigen. Es war zu Hause kurz nach sechs Uhr abends, und nachher machten sie sich womöglich die ganze Nacht durch Sorgen. Außerdem hätten sie mir auch nicht helfen können.
Wie es nun mit mir genau weitergehen würde, stand noch offen. Die Deutsche Botschaft, wo ich meinen neuen Pass beantragen musste, hat nur vormittags geöffnet, also konnte ich an diesem Tag nichts mehr in Sachen Pass unternehmen. Da konnte ich ja noch mit der Gruppe zum Äquatordenkmal fahren, und wenn der Pass dann immer noch nicht aufgetaucht ist, wieder mit dem öffentlichen Bus zurück nach Quito.
 

Das Äquatordenkmal  reicht etwa 30 m hoch in den Himmel, obenauf thront die Erdkugel in leicht verkleinertem Maßstab. Ob die Kugel nun die Erde darstellen sollte, weiß ich nicht, jedenfalls irgendetwas Rundes...
Eine gerade gelbe Linie am Boden führt vom Denkmal weg. Ist der Äquator gelb? Ich dachte immer, der sei weiß und nicht gelb. Jedenfalls ist er in Kenia weiß. Ich fragte mich, ob es der gleiche Äquator war? Vielleicht gibt es ja einen Weißen und einen Gelben.
Natürlich brauchte ich das obligatorische Photo, wo ich mit einem Fuß auf der Nordhalbkugel und mit dem anderen auf der Südhalbkugel stehe. Dabei war es genau genommen gar nicht der richtige Äquator. Die Herren, die damals den Äquator vermessen hatten, hatten sich um ein paar Meter vertan, vielleicht ist ja auch nur der „falsche“ Äquator gelb. Die ganze Denkmalanlage war sehr sauber und gepflegt und schön angelegt. Ich hätte noch viel mehr Zeit gebraucht, um das alles zu würdigen, aber ich hatte keine Ruhe. Ich wollte nach Quito zurück um schon mal alles zu erledigen, was ich für meinen neuen Pass brauchte. Zum Beispiel Passfotos. Mein Pass war also nicht mehr aufgetaucht und ich musste nun zurück in die Hauptstadt. Alle wünschten mir viel Glück und Erfolg bei der Botschaft. Ich verabschiedete mich und nahm den nächsten Bus.

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In der Zwischenzeit hatte Richard mit seiner Frau Patricia telefoniert, sie wollte mich an einem verabredeten Punkt mit dem Auto abholen. Nach ca. 20 Minuten Busfahrt erreichte ich den verabredeten Kreisverkehr und nach einigen Minuten kam Patricia. Sie erkannte mich nach Richard´s Beschreibung sofort, es stand nämlich nur eine große Blonde mit blauem Packsack und großem Rucksack verloren am Straßenrand, und zwar ich.
Ich wollte zuerst zum KLM-Büro, um den Flug nach Amsterdam umzubuchen, denn ein neuer Pass dauerte auf jeden Fall ein paar Tage. Patricia sprach auch etwas Deutsch, was die Kommunikation sehr erleichterte. Sie gab mir einen Zettel, auf dem alles draufstand, was ich wissen musste. Zu wem ich in der Botschaft gehen musste und was ich alles brauchte und wie viel das kostete. Das fand ich wirklich nett, sie hatte mir sehr damit geholfen. Außerdem fuhr sie mit mir an der Deutschen Botschaft vorbei, damit ich sie am nächsten Tag besser finden würde.  Sehr brauchbar war auch ihr Hinweis auf die Taxen, ich sollte nämlich nur mit denen fahren, die so einen blauen Aufkleber mit einer Telefonnummer irgendwo kleben hatten. Die seien nämlich sicher, denn bei den anderen Taxen kann es sich unter Umständen um Ganoven handeln, die mich also nicht dahin bringen, wo ich hin möchte, sondern woanders hinfahren und mich ausrauben usw.. Das muss man ja auch wissen, stand in keinem Reiseführer drin, habe ich zumindest nirgendwo gelesen.
Am KLM-Büro ließ sie mich aussteigen  und ich versuchte mein Glück. Zuvor hatte Richard nämlich schon mit der Reisegesellschaft vor Ort telefoniert, und die sagten ihm, dass mein Flugticket nicht umzubuchen ginge. Aber das wollte ich erst glauben, wenn es mir jemand von der KLM selber sagte. Zum Glück sprach die Dame Englisch, aber ohne mein Ticket oder eine Kopie konnte sie mir darüber keine Auskunft geben. Also musste ich erst mal wieder ins Hotel Sierra Nevada zurück und die Ticketkopie holen. Mittlerweile war es schon nach sechzehn Uhr und das KLM-Büro schloss um siebzehn Uhr. Da musste ich mich ganz schön beeilen.
Eine halbe Stunde später war ich also mit der besagten Kopie wieder da und die Frau tippte Daten in den Computer ein. Das Erste, das ich erfuhr, war, dass sich noch niemand über eine Umbuchung für mein Ticket bemüht hatte. Außerdem sagte sie, dass es ja gar keine andere Möglichkeit gäbe und dass das ein Sonderfall sei, denn ohne Pass konnte ich ja überhaupt nicht fliegen. Für 100$ Umbuchungsgebühr müsste das möglich sein, und sie gab mir eine Telefonnummer mit, über die ich alles weitere regeln konnte. So einfach war das und ich machte mich auf den Rückweg. Nachdem ich innerhalb von einer Stunde den dritten Taxifahrer kennen gelernt hatte, und alle nun auch meine bedauerliche Geschichte mit dem Pass kannten (ich habe keinen verschont, wozu schließlich hatte ich denn Spanisch gelernt?), musste ich mich um Passbilder kümmern. In der Nähe vom Hotel gab es auch gleich einen Fotografen, und ruckzuck waren die Bilder gemacht. Auch da mogelte ich mich so mit meinen Spanischkenntnissen durch. Nach einer Stunde konnte ich sie abholen.
 

Die beste Möglichkeit, die Zeit totzuschlagen, ist mit Büchern. Wo war doch gleich die größte und schönste Bücherei Ecuadors?  Libri Mundi lag zum Glück nur eine Straße weiter um die Ecke, und bis zum Abholen der Bilder wollte ich dort ein wenig stöbern.
Himmlisch! So viele Bücher, in so vielen Sprachen! Natürlich war die größte Abteilung mit spanischen Büchern gefüllt, aber eine Ecke war den Deutschen, eine den Englischen und eine den Französischen vorbehalten. Da konnte ich mich richtig austoben. Aber die eine Stunde reichte mir nicht. Also holte ich nur schnell die Bilder ab - wobei ich beim Verlassen des Fotogeschäftes das große Schild neben der Tür des Fotogeschäftes las: Wir sprechen Deutsch – und verschwand noch mal bis zum Einbruch der Dunkelheit bei den Büchern. In der Ecke, wo es die Gebrauchten gab, wurde ich sogar fündig: ich wollte Jurassic Park auf Spanisch lesen...
Bevor es ganz dunkel wurde, begab ich mich zurück ins Hotel. Mittlerweile versuchte ich die ganze Geschichte mit dem Pass mal von einer ganz anderen Seite zu betrachten: wenn der Pass weg war, musste ich meinen Urlaub verlängern. Wenn ich schon länger in Ecuador bleiben musste, dann konnte ich das doch auch auf Galapagos tun, oder? Und schon sah die  Sache vollkommen anders aus. Im Gegenteil, fast freute ich mich sogar darüber, dass ich den Pass verloren hatte. In zwei Reisebüros hatte ich mal einfach so, ganz unverbindlich nachgefragt, was eine Woche Galapagos denn kostete - dass es preiswerter sein würde als von Deutschland aus gebucht, hatte ich mir schon gedacht, aber dass es nur die Hälfte davon kostete, war sehr überraschend.

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Wie sollte ich das meiner Familie klar machen? Das Beste war wohl, wenn ich noch einmal zu Hause anrief und sagte, dass mein Pass weg ist. Nun gut, mittlerweile war es in Deutschland Mitternacht, aber wenn ich bis zum nächsten Morgen wartete, wäre zu Hause später Vormittag gewesen und niemand zu erreichen. Ich musste ja auch noch Geld haben für die Verlängerung, denn meine Reiseschecks konnte ich ohne Pass nun auch nicht mehr gebrauchen. Also rief ich an. Mein Vater hörte sich aber schon sehr verschlafen an. Ich dachte, meine Eltern blieben immer so lange bis weit nach Mitternacht auf? O.k., Pech gehabt. „Aber macht Euch bitte keine Sorgen, ich habe (noch) alles unter Kontrolle. Mir geht es gut.“ Das war ja auch nicht gelogen, ich saß auf meinem Bett, hatte eine Flasche Cola, eine Tüte Chips, eine Tafel Schokolade und ein gutes Buch. Was will man mehr (Außer seinen Pass natürlich)?
Um Zehn, gerade als ich das Licht ausmachen wollte, ging das Telefon. „Der Pass ist wieder da!“, hörte ich die Frau von der Reiseagentur sagen. Die kleine schwarze Tasche hat im Bus in Coca zwischen den Sitzen gelegen und wurde beim Saubermachen gefunden. Sollte ich mich nun freuen oder nicht? Der Weg zur Botschaft blieb mir wenigstens erspart. Aber klappte das noch mit dem Umbuchen des Fluges und mit Galapagos? Wenigstens konnte ich nach der Nachricht gut schlafen. Mir fiel ein, dass sich meine Eltern wahrscheinlich doch Sorgen machten, und nach einigem hin- und herüberlegen entschied ich mich ungeachtet der unmöglichen Zeit von 4.00 Uhr früh in Deutschland für einen kurzen Anruf. Später erfuhr ich, dass meine Eltern trotz der beiden vorherigen Anrufe ruhig geschlafen hatten, zumindest bis zu dem dritten Anruf um Vier. Danach hatten sie dann kein Auge mehr zugemacht. (Dafür möchte ich mich jetzt nachträglich noch mal entschuldigen.) 
Meine Nacht war auch nicht viel besser: pünktlich um 4.00 Uhr früh tauchte eine Horde Touristen mit lautem Getöse im Hotel auf. Glaubten sie etwa, sie wären allein auf der Welt? Ich versuchte vergeblich sie zu ignorieren und wälzte mich lange Zeit nur im Bett hin und her.
 

7.Januar
 
Der Tag begann um Sieben mit Duschen und anschließend einem gemütlichen Frühstück. Wie so ein richtiger Urlaubstag sein sollte. Im Frühstücksraum des Hotels traf ich auf einen Mann aus Kalifornien, an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnern kann. Ich fragte ihn, was er denn in Ecuador mache, ob er auch im Urlaub sei. Er erzählte mir, dass er für eine Gesellschaft zur Rettung des Regenwaldes arbeite und mehrmals im Jahr nach Ecuador reise. Die Gesellschaft kauft Land auf und macht es zu Reservaten, bevor die Ölgesellschaften es aufkaufen und mit der Zerstörung des Regenwaldes anfangen können. Ich fand das eine sehr gute Idee und erhielt von ihm noch eine Kontaktadresse in Deutschland, falls ich mal den Drang verspüren sollte, auch mal etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Später zu Hause in Krefeld erfuhr ich allerdings, dass sie nur Studenten aus naturwissenschaftlichen Fächern als Praktikanten für ein Jahr zuließen. Schade.

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Ich hatte noch den ganzen Vormittag Zeit, erst um vierzehn Uhr fuhr der Bus nach Atacames, mit dem ich meine Gruppe wieder einholen wollte. Vorsorglich packte ich meinen Rucksack mit dem Notwendigsten, damit ich später keinen Stress bekam.
Zuerst ging ich also zum Büro der Reiseagentur, das zum Glück auf der gleichen Straße lag wie das Hotel, und erkundigte mich nach dem Pass. Dieser sollte mit dem ersten Flugzeug aus Coca nach Quito kommen, auf den Namen eines der Angestellten. Um Eins sollte ich den Pass im Büro abholen. Prima, ich rief also Richard an um ihm zu sagen, dass ich am Abend mit dem Bus käme. Es kam jedoch keine Telefonverbindung zustande, die waren bestimmt immer noch in dem Gebiet, wo es keine Sendemasten gab (hatte ich zumindest gedacht, aber Gaby klärte mich später auf, dass `nur´ der Akku leer gewesen war). Also vertrieb ich mir die Zeit wieder in der Bücherei. Mit mehreren Büchern unter dem Arm kehrte ich zur Telefonzentrale zurück und versuchte es noch einmal. Aber kaum hatte ich „Hallo“ in den Apparat gesagt, war die Verbindung unterbrochen und ich konnte ihn vorerst wieder nicht mehr erreichen. Nun hatte ich also abermals Zeit, die ich sinnvoll nutzen wollte. Und kaufte mir ein hübsches T-Shirt mit Ameisen drauf. Langsam hoffte ich, bald aus Quito herauszukommen, sonst würde ich beim „Zeittotschlagen“ noch arm werden und mein Gepäck würde ein Ausmaß erreichen, das das normale Volumen eines Koffers um ein Vielfaches übersteigen würde.
 

Nach einer weiteren Stunde probierte ich es wieder, und hatte prompt Leonardo am Apparat. Da wurde ich ja ganz schön überrumpelt, ich hatte mir vorher keine spanischen Worte zurecht gelegt, weil ich dachte, dass Richard am anderen Ende drangehen würde, und versuchte nun Leonardo zu erklären, dass ich am Abend mit dem Bus in Atacames ankommen würde, und hoffte, dass er auch alles richtig verstand.
Um nicht mit leerem Magen die voraussichtlich sechs Stunden Fahrt durchstehen zu müssen, ging ich in eine Art Baguetterie, nur dass es keine Baguettes gab, sondern Ofenkartoffeln (also eine „Kartoffellerie“). Bei meiner bekannten Vorliebe für Avocados nahm ich natürlich eine mit Avocadosalat. Wahrlich ein Gedicht! Jeder, der einmal nach Quito kommt, sollte mal diese Kartoffeln probieren! Der Laden liegt direkt neben der Libri Mundi.
So richtig voll und satt begab ich mich schon ein paar Minuten vor Eins zum Büro, in der Hoffnung, dass vielleicht mein Pass schon da wäre. Schließlich wollte ich ganz in Ruhe und ohne Stress den Bus erreichen um sicher zu gehen, dass ich noch einen Platz bekam.
Zum Glück saß der gleiche Mann hinter dem Schreibtisch wie am Morgen. So brauchte ich nicht mit spanischen Worten um mich werfen um die Sache nochmals zu erklären. Er sah mich, lächelte freundlich, und sagte mir, dass ich den Pass erst um Vierzehn Uhr abholen könnte. Eher war es nicht möglich, weil er erst mit dem zweiten Flugzeug kommen würde. Ich stand kurz vor einer mittelschweren Krise, denn wie sollte ich dann um Zwei den Bus erreichen, wenn ich erst um Zwei den Pass bekam?

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Ich war von mir selbst überrascht, wie von selber fielen mir die richtigen Ausdrücke in Spanisch ein, um dem Mann mit Nachdruck klarzumachen, dass ich den Pass sofort brauchte. Ich konnte und wollte nicht warten. Immerhin rief er dann auch am Flughafen an und fragte, wann das Flugzeug denn ankam, und wenigstens hatte ich das Glück, dass es pünktlich war und soeben im Begriff war zu landen. Ich fragte, ob ich nicht selber sofort mit einem Taxi zum Flughafen fahren könnte um den Pass persönlich in Empfang zu nehmen, aber das ging ja nicht, weil das Päckchen mit der kleinen Tasche nicht auf meinen Namen geschickt wurde. Meine Überredungskunst reichte zumindest, den Mann dazu zu bringen, mit mir zusammen sofort zum Flughafen zu fahren. Ich lief in das Hotel um meinen, zum Glück fertig gepackten, Rucksack zu holen, und erhielt auch gleich an der Rezeption die Nachricht, dass der Bus doch nicht um Zwei fuhr. Sondern schon um halb Zwei. Das konnte doch nicht sein, oder? Hatte sich denn alles gegen mich verschworen? Heute Morgen beim Frühstück sah noch alles so einfach und leicht aus, und nun artete es in größten Stress aus. Die gute Dame meinte bedauernd, dass ich den Bus wohl nicht mehr erreichen würde und den nächsten zwei Stunden später nehmen müsste. Um Himmels Willen, dann käme ich ja erst mitten in der Nacht in Atacames an! Geschwind schulterte ich den Rucksack, warf ein „Adios“ über die Schulter und rannte so schnell ich konnte zurück zum Büro. Wir nahmen uns ein Taxi und trieben den Fahrer zur Eile an. Zu meinem Glück war natürlich wieder viel zu viel Verkehr auf den Straßen. Konnten wir denn kein Blaulicht aufsetzen? Jedenfalls waren wir um fünf vor halb zwei am Flughafen, der Mann sprang heraus, rannte ins Gebäude und war einige Sekunden später wieder da. Wenigstens das ging glatt. Im Geist sah ich meinen Bus schon wegfahren. Der Taxifahrer wusste um meine Not und raste wie Michalel Schumacher durch Quito. Teilweise behielt ich meine Augen lieber geschlossen und hoffte insgeheim, dass wir überhaupt ankommen würden – und zwar heil ...
Eine Viertelstunde später näherten wir uns dem Busbahnhof und ich hatte die Hoffnung, dass auch mein Bus Verspätung hatte. Es kam uns ein Bus entgegen, und der Taxifahrer sagte mir, das sei meiner, und hielt vor dem Bus an. Wir sprangen heraus, ich zahlte schnell das Taxi , bedankte mich, und kletterte hastig die Stufen in den Bus hinauf. Ich hatte es doch noch geschafft, ich war überglücklich! Als wir anfuhren, fragte ich sicherheitshalber meinen in Schlafposition sitzenden Platznachbarn, ob dies der Bus über Esmeraldas nach Atacames war -  mein Reiseziel war schließlich wichtiger als sein Schlaf. Als ich die erlösende Antwort bekam, dass ich im richtigen Bus saß, entspannte ich mich endlich. Die letzte halbe Stunde war aber auch der reinste Wahnsinn gewesen! Dafür hatte ich geschlagene sechs Stunden langweilige Busfahrt vor mir.
Es war ein supermoderner Reisebus mit Fernseher und Getränkeservice. Die Sitze waren sehr bequem und auch an den Beinen war es nicht zu eng. Als der Schaffner zu mir kam, hoffte ich, dass mein Geld reichte. Denn wer wusste schon, was in Ecuador eine sechsstündige Fahrt im Luxusreisebus kostete? Aber mit acht Dollar war ich dabei.
 

Neben mir saß Nelson, ein willkommenes Probierobjekt für meine Sprachkenntnisse. Er hatte den Fensterplatz und konnte mir also nicht entkommen. Er saß in der Falle.
So war die Fahrt nicht ganz so langweilig, wie es zuerst schien. Damit jetzt keiner denkt, ich hätte die ganze Zeit geredet und Nelson nicht zu Wort kommen lassen: er hat sehr wohl auch mal etwas von sich erzählt, zum Beispiel, dass er beruflich unterwegs sei und sich über die Unterhaltung mit mir freute. Dies schreibe ich, da mir später von gewissen Leuten (die genau wissen, dass sie damit gemeint sind) nachgesagt wurde, ich hätte einen sechsstündigen Monolog geführt und den armen Nelson nicht zu Wort kommen lassen. Ich erzählte ihm auch meine Geschichte, warum ich alleine nach Atacames reiste, und dass ich es nicht mehr geschafft hatte, Richard zu benachrichtigen, in welchem Bus ich saß. Ich fragte ihn, ob er wüsste, wo ich in Atacames telefonieren konnte. Gut, dass ich fragte, denn er hatte ein Handy  dabei und versuchte ab sofort in regelmäßigen Abständen Richard anzurufen. In den Bergen hatte er aber kein Netz und nach einigen vergeblichen Versuchen sagte er, dass er es von Esmeraldas aus bestimmt schaffen würde.
Wir unterhielten uns über alles Mögliche, wie das halt so ist, wenn sich zwei fremde Menschen das erste Mal begegnen und gezwungen sind, längere Zeit auf engstem Raum nebeneinander zu sitzen und entweder zu schweigen, oder aber das übliche Frage-und-Antwort-Spiel zu spielen: „Wo kommst Du her? – Was machst Du? – Warum? - Wieso?“ und so weiter und so fort.

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Bald reichte mein Vokabular nicht mehr und nach über einer Stunde fragte Nelson mich, ob ich vielleicht etwas besser Englisch als Spanisch spreche. Als das geklärt war (er hätte doch auch sofort fragen können, oder?) ging es die restlichen fünf Stunden in Englisch weiter. Wir tauschte die Plätze, weil er der Meinung war, ich als Fremde in Ecuador sollte doch am Fenster sitzen um mehr von der vorbeiziehenden Landschaft zu sehen. Mehr als vorher von meinem Gangplatz aus sah ich trotzdem nicht, da wir uns unterhielten und ich nur ungern meinem Gesprächspartner den Hinterkopf zuwende – was beim Herausschauen aus dem Fenster zwangsläufig der Fall gewesen wäre. Folglich sah ich also weniger als vorher, als ich einfach an ihm vorbei zu gucken brauchte, um die Landschaft, die am Fenster monoton vorbei zog, zu betrachten. Bei der Gelegenheit des Platzwechselns stellte er auch gleich fest, wie schwer mein Rucksack doch war und fragte mich, wie lange ich vor hatte, an der Küste zu bleiben. „Übermorgen fliegen wir zurück nach Quito.“  „Mensch, Kerstin! Dein Rucksack wiegt ja so viel, dass man meinen könnte, Du bleibst ein paar Wochen. Was hast Du denn alles mit?“ „Nun, nur das Nötigste. Badesachen, Sandalen, Wäsche, eine kurze Hose, Regenklamotten, falls es regnet, meine Kamera und die Objektive.“ Ich gebe zu, dass der Rucksack sehr schwer war, aber was nun genau das schwerste Teil war, konnte ich ihm auch nicht sagen. Er rätselte übrigens die ganze Fahrt über daran herum.
Als er hörte, dass ich Fotografin sei und selbstverständlich  immer und überall Fotos mache, fragte er mich: „Wie machst Du es, wenn Du aus dem Bus heraus ein Foto machst, dass es nicht verwackelt?“ und ich gab ihm die einfachste und logischste Antwort: „Ich stoppe den Bus.“ Wir hatten die ganze Fahrt über viel Spaß und jeder lernte etwas Neues dazu.  Die Zeit verging schnell, bald näherten wir uns der Küste, und die Luft wurde immer stickiger und schwüler. Draußen regnete es, und so bekam ich von der sich verändernden Landschaft kaum etwas mit. Als wir den Ort Esmeraldas in der hereinbrechenden Nacht erreichten, machten wir eine kurze Pause. Nelson stieg aus , weil er im Bus immer noch keinen Empfang auf seinem Handy hatte, und versuchte noch einmal, Richard anzurufen. Endlich klappte es, er sagte, sie warteten schon in Atacames an der Bushaltestelle auf mich. Da war ich erleichtert. Und Nelson wohl auch. In Atacames sollte man, und besonders frau, nicht alleine in der Nacht unterwegs sein.
Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt kamen wir schließlich nach sieben Stunden  eingepfercht im Bus an. Als sich die Bustür vor mir öffnete, erblickte ich einige Meter weiter drei Gestalten vor einem Restaurant sitzend und mit den Armen winkend. Da waren sie ja! Ich bedankte mich noch mal bei Nelson für seine Hilfe und wir verabschiedeten uns.
 

 Glücklich über die bekannten Gesichter dort am Tisch lief ich mit dem Rucksack über die Straße zu ihnen und wurde herzlich empfangen. Leonardo, Richard und Gaby hießen mich willkommen und mal wieder konnte ich gar nicht so schnell alles Erlebte erzählen, wie ich wollte. Gaby meinte, ohne mich war die Gruppe nicht komplett, ich hätte ihnen gefehlt und alle hätten sich Sorgen um mich gemacht. Allerdings gab sie auch zu: „Ohne Dich sind wir auch recht schnell hier angekommen, mit Dir hätte es - durch die ganzen Fotostopps - noch länger gedauert. Aber wir haben dich trotzdem vermisst.“
Bei einer leckeren Ceviche (so eine Art Fischsalat) und einem Bier, das Richard mir nach seiner verlorenen Wette über den Aufenthaltsort meines Passes schuldete (er war also doch nicht in meinem Packsack gewesen), sprudelten die Geschehnisse der letzten Tage nur so aus mir heraus. Wohl auch deshalb, weil ich froh war, endlich wieder in meiner gewohnten Sprache reden zu können. 

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Ich hatte Glück, dass die Drei mich abholten, denn Richard erzählte mir, dass es da wohl ein sprachliches Missverständnis bezüglich des Telefonates mit Leonardo gegeben habe. Als ich am Vormittag plötzlich Leonardo am Telefon hatte, war ich etwas verwirrt gewesen, da ich eigentlich mit Richard gerechnet hatte. Ich wollte ihm nur mitteilen, wann ich an diesem Abend mit dem Bus in Atacames ankommen würde, aber irgendwie hatte Leonardo verstanden, dass ich erst morgen ankommen würde. Das wiederum konnte Richard  zum Glück nicht glauben und rief zur Sicherheit bei der Busgesellschaft an, und fragte dort nach, ob eine junge deutsche Frau ein Ticket gekauft hätte. Zu meinem Glück saß im gleichen Bus ebenfalls eine Deutsche, die ein Ticket vorbestellt hatte, denn ich war ja erst unterwegs zugestiegen und hatte keinen Platz reserviert. Dieser Verwechslung hatte ich es zu verdanken, dass ich doch noch abgeholt wurde.