Nein, die Menschen konnten sie nicht vollends ausrotten, da sie ihre Arbeitskraft benötigten, Werkzeuge also, um der heiligen katholischen Kirche zu dienen. Und wirklich, diesen Diensten sind wahre Wunderwerke entsprossen, denn wo man auch hinblickt in Cuzco, an jeder Fassade, die unter Anleitung der Jesuiten hochgezogen wurde, finden sich zwei Welten miteinander verschmolzen, die des heidnischen Glaubens und die der neuen Religion. Und unter den vielen hundert Bildern der Cuszener Schule sind immer wieder heidnische Symbole zu finden – wie etwa die Sonne eingeflossen ist –, deren Urheber einheimische Künstler waren. So schreiten wir heute ehrfurchtsvoll durch den Sonnen- und Mondtempel, oder besser gesagt, was davon übriggeblieben ist, und wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, denn der Fragen werden eher mehr statt weniger. Durch die sogenannte Inka-Gasse, wo Kolonialbauten über inkaischen Mauerresten errichtet wurden, gelangen wir zur Kathedrale, die sich noch immer im Zustand der Restaurierung befindet und von der niemand weiß, welchem Heiligen sie geweiht ist. Es erübrigt sich, es anzusprechen, mit welcher Pracht und welchem Pomp in dieser und der Lateralkirche La Sagrada Familia Aufwand getrieben wurde, um sie mit Gold und Silber auszuschmücken. Das Gold, das hier verwendet wurde, riß man von den Mauern des Sonnentempels, doch hätte es genügt, eine und nur eine Kirche zu bauen. Doch damit nicht genug, es bedurfte fünfzehn katholischer Kirchen, um das Neue Cuzco auszuschmücken, denn Seiner Herrlichkeit wäre eine Kirche nicht genug gewesen. Man stelle sich nur einmal vor: selbst die Sakristei ist derart überschwenglich mit Gemälden ausgestattet, daß man erbost ist und erstaunt zugleich, mit welchen Mitteln jedem Erzbischof, den diese Stadt aufnahm, ein Denkmal seiner selbst gesetzt wurde. 
    Genug nun des Stilgemischs aus Barock und Renaissance, denn es treibt uns hinaus in klarere Höhen über der Stadt, wo die Inkafestung 
Sacsayhuaman den Menschen erschreckt, der solches sieht: Klötze von der Größe eines Einfamilienhauses, die aus entfernten Steinbrüchen herangerollt wurden, sind millimetergenau und ohne Bindemittel ineinandergepaßt, Steinbastion an Steinbastion reiht sich hier aneinander, und in drei Mauerringen wirken selbst die Reste dieser atemberaubenden Festung noch großartiger als die großartigste abendländische Burg. Denn wahrlich, niemals habe ich in Europa eine Burg oder Festung gesehen, die aus mehr Steinmaterial erbaut gewesen wäre als diese hier. Mir erscheint bis heute unbegreiflich, wie die Spanier dieses Mahnmal, das an das Unvergängliche heranrührt, überhaupt einnehmen konnten, denn ihre Kanonen machten mehr durch Lärm Eindruck denn durch Sprengwirkung. Allein es geschah. Sacsayhuaman ist ein Ort großartiger Aussicht, hinab auf die Plaza de Armas, den schönsten Platz Südamerikas, bis hinüber zum Flughafen, wo fern der Statue des Segnenden Christus im cuszenischen Blau der schneebedeckte Nudo Ausangate sich mit noch größerer Herrlichkeit zum Himmel erstreckt. 
    Hinter der Inkafestung befindet sich eine Art Amphitheater, das Tausenden Menschen Platz bot. Man weiß allerdings nicht, da es keine schriftlichen Aufzeichnungen hierzu gibt, was sich darin abgespielt hat. Höher die Berge hinauf, gelangen wir zum unheilvollen 
Kenkofelsen, über den nur wenig zu entschlüsseln ist, von dem man aber mit Sicherheit zu sagen weiß, daß er, an Blutrinnen erkennbar, Tier- und Menschenopfer gesehen hat. Wann immer der Inka voraussah, daß große Dürre bevorstand, glaubte er sich die Regen spendenden Götter nur durch sühnendes Menschenblut geneigt machen zu können. 
    Ein weiteres Quellheiligtum, dessen Wasser noch heute frisch und trinkbar sind, ist 
Tambomachay, in noch größeren Höhen gelegen und noch weiteren Ausblick gewährend. Auch hier hüllt sich die Archäologie weitgehend in Schweigen, und man ist hinsichtlich Erklärungen auf pure Mutmaßungen angewiesen. Auf dem Weg dorthin kommen wir noch an einer, jedoch kleineren Inkafestung vorbei, die den Namen Pukapukara trägt. 
    Als wir zurück in Sacsayhuaman sind, werden wir Zeugen eines Dokumentarfilms über den Kampf zwischen Indianern und Spaniern, der hier gerade mit viel Aufwand gedreht wird. Die Kostüme der Indios wie auch die Rüstungen und sonstigen Requisiten sind täuschend echt, und wir bitten die Filmleute, das alles photographieren zu dürfen, was man uns letztlich auch gestattet. Ständig auf der Suche nach geeigneten Motiven, verkleide ich mich für ein Photo kurzerhand als Konquistador. 
    Als wir zur Zeit der größten Mittagshitze in die Stadt zurückkommen, verspüren wir alle ein Gefühl des Hungers. In der sogenannten Chicceroneria ist die Spezialität des Hauses gebratene Schweinehaut, die allerdings nicht jedermanns Geschmack ist, doch die Einheimischen lieben dieses Gericht heiß und innig. Schließlich erliegen wir dem Verlangen nach dem als äußerst schmackhaft angepriesenen Fleisch des Meerschweinchens, welches mit Kopf und Gliedmaßen serviert wird. Das Fleisch und seine Kruste stammen aber entweder von einem alten Tier oder ich bin zu voreingenommen, um die Schmackhaftigkeit dieses Fleisches bestätigen zu können. Es schmeckt wie eine Mischung aus Huhn und Kaninchen, und wenn die Haut derart zäh ist wie diese, muß man anstatt zu Messer und Gabel zu den bewährten Händen greifen. Ein Meerschweinchen vermag darüber hinaus für einen Indio eine angemessene Portion sein, für einen Gringo ist sie es nicht. 
    Auf der Plaza de Armas herrscht nachmittags reges Treiben, das Wetter ist zauberhaft, und
Kathedrale wie Jesuitenkirche leuchten in herrlichem Rot. Wir haben Glück um diese Jahreszeit, denn Touristen sind nicht viele in der Stadt.

Der Weg des Inka

    Vom Bahnhof in Cuzco fährt die Eisenbahn der Peru Rail in drei Stunden und zwanzig Minuten nach Agua Calientes, wo man mit Zubringerbussen in zwanzig Minuten nach Machu Picchu hinaufgebracht wird. Da Cuzco in einem Talkessel liegt, der zu steil ist, als daß ihn die Eisenbahn ohne Umstände bezwingen könnte, sind etliche Spitzkehren nötig (ich glaube vier), um die Hochfläche über Cuzco zu erreichen. Spitzkehre bedeutet nicht etwa, daß der Zug sie tatsächlich ausfährt, sondern er ändert lediglich seine Fahrtrichtung und bewältigt quasi im Zickzack, mit Hilfe dieses einfachen Tricks, eine größere Steigung als unter normalen Umständen.