Ebenso irreal berühren mich auch andere Begegnungen auf der Insel. Das Treffen mit den Feenseeschwalben beispielsweise. Da wusste ich noch gar nicht, dass sie übersetzt so heißen. Aber ihr Feenzauber wirkte schon beim ersten Anblick, zart und schneeweiß wie sie sind und so klar und rein. Sie legen ihre Eier nicht in ein Nest, nein. Die Fee sitzt auf einem Ästchen und jongliert ihr Ei vor meinen Augen. Einmal am Baum rütteln, und es könnte ihr entgleiten. Aber sie sitzt und schaut mich offenherzig an: „Siehst Du, hier ist es, das einzige Ei diesen Jahres“, bedeutet sie mir. Und ihr Mann sitzt zwei Zweige weiter und wartet auf das Signal zur Ablösung. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie sie sich das Ei übergeben. Jedesmal, wenn sie wechseln, steht alles auf dem Spiel. Man sieht den zarten Vögeln so viel Mut zum Risiko gar nicht an. Weiß wie die Unschuld setzen sie jeden Tag auf alles oder nichts. Und ein Leben lang miteinander verbunden, gilt das auch für den Partner: Es gibt nur den einen im Leben. Alles oder nichts eben. Sicher ist es all das, all ihre hochgradige Sensibilität, die sie so selten macht weltweit. Und vielleicht ist es auch die Sattheit einer Welt, die keinen Feenzauber mehr zu brauchen meint. Hier auf jeden Fall gilt ihr Zauber noch, und ich verneige mich vor dem Paar, das aneinander gelehnt die Köpfchen in den Wind streckt.

 

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Der Tag mündet in eine Nachtwanderung mit Robbin, dem Naturführer von Bird Island. Tiefschwarz ist die Nacht mittlerweile. Nur das Geschrei der Rußseeschwalben ist zu hören und das Meer, dass irgendwo im Finstern am Ring des Korallenrings zerschäumt. Am Strand überraschen wir wieder die Krabben, die mittlerweile ganze Pyramiden von Sand angehäuft haben. Je höher, desto einladender für die Weibchen. Liebeswerbung auf Krabbisch. Am nächsten Morgen seh ich rosane, blaue und grüne Krabben und grüble, wie unterschiedlich erfolgreich wohl ihre Nächte verlaufen sind.

Eine Meeresschildkröte entdecken wir auf unserer 1 ½  stündigen Strandwanderung nicht. Dafür aber eine ihrer Schleifspuren: Einen Meter breit und gigantisch eingedrückt, was bei 400 kg Gewicht auch gut erklärbar ist. Die Spur verläuft geradewegs den Strand hoch und wendet dann abrupt, um ebenso geradlinig wieder zum Meer zu führen. Die Erklärung dafür ist nach den Erläuterungen Robbins ganz einfach. Die Meeresschildkröte war 12 Jahre lang Jahr für Jahr immer an derselben Stelle ans Land gekommen, um über dem Strand ihre Eier abzulegen. Aber dieses Mal- im verflixten 13. Jahr eben – landete sie offensichtlich 50 m unterhalb ihrer alten Stelle. Welch ein Versagen! Sie bemerkte es erst, als sie sich mühevoll den Strand hoch geschoben und umgesehen hatte. Prompt drehte sie um und entschwand wieder im Meer. Es war einfach „the wrong place“, Schildkröten scheinen die reinen Perfektionisten zu sein. Wann sie es bei dieser Desorientierung das nächste Mal probiert, ist nach Robbin ungewiss. Vielleicht muss sie ja zunächst nachdenken, und das könnte schildkrötisch lang dauern. Wir entschließen uns deshalb doch, ins Bett zu gehen, voller Meereswind und Vogelrufe, die uns durch Traum und Schlaf tragen, und müde von so viel Schönheit, die hier scheinbar überquillt. Aber wir hätten die Schnelligkeit der Schildkröten doch nicht unterschätzen sollen. Sie kam nämlich doch in dieser Nacht, die große alte Meeresdame, irgendwann gegen Morgen, wie Robbin uns am nächsten Tag erzählt. Und sie hat diesmal den genau richtigen Punkt getroffen: Ordnung muss sein. Haargenau ihre Stelle. Ich freue mich mit ihr und hadere nicht, ihr nicht begegnet zu sein. Denn irgendwie fühl ich mich ihr auch ungesehen verbunden. Schildkrötisch oder krabbisch – hier verfließen die Grenzen.