Riesenschildkröte, Seychellen, Aldabra

 

Esmeralda heißt beispielsweise die älteste Riesenschildkröte der Insel. Eigentlich ist sie ein Mann, zu erkennen an dem deutlich spitz zulaufenden Panzerrücken, wie wir lernen. Aber bei ihrer Taufe hat man das vermutlich noch nicht recht gewusst, vor 230 Jahren war der Kenntnisstand über Schildkröten zugegebenermaßen auch ein anderer. Das Interessante ist nur, dass es in 230 Jahren keiner fertig gebracht hat, den Fehler zu korrigieren, was die These belegt, dass es leichter ist, einen Fehler in die Welt zu bringen, als ihn wieder zu entfernen. Aus einem Mann wurde also auf diese Weise kurzerhand eine Frau, und fortan bleibt es so, ihn stört das ohnehin nicht. Er vermehrt sich genüsslich, frisst mit gleichbleibendem Appetit, und selbst sein Gebiss hat offensichtlich noch keine altersbedingten Probleme. Das schlussfolgere ich aus dem Hinweis, man solle ihm nichts mit der Hand zu fressen geben, kürzlich hätte er dabei jemandem versehentlich einen Finger abgebissen. So viel Gefährlichkeit traut man ihm und seinen 10 oder 15 Artgenossen gar nicht zu, erst recht nicht, wenn sie ihren Hals ausfahren und einen mit treuen Augen anschauen, die Urzeittiere, Giganten eines längst untergegangenen Reiches, als Landschildkröten nur etwas leichter als die nicht gesehenen Meeresschildkröten – rund 200 kg wiegt Esmeralda.


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Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn Esmeralda sich gerade überlegt hat, die grasbewachsene Landebahn zu beweiden, wenn das kleine Flugzeug landen will, das uns wieder abholen will.  Keiner würde wohl Esmeralda wegtragen können, und unser Flugzeug müsste wenden. Vielleicht würde helfen, eines der Beine zu streicheln. Dann heben die Schildkröten nämlich ihren Panzer an und machen sich so langbeinig, wie sie können. Als wenn sie kitzlig wären. Aber sicher bin ich mir da nicht. Auf der Bank an der winzigen Start- und Landebahn sitzend, genieße ich nochmal alle Bilder der Insel: Die roten Aldabra-Foddys, die sich mit den kleinen glockenden Täubchen um irgendwelche Samen streiten, die friedlichen Riesenspinnen, deren Netz so fest ist, dass ich es nicht zerreißen kann, und die weißen „tropical Birds“, die ihre Jungen in kleine Baumhöhlen absetzen. Die Schwärme der schönen Noddysseschwalben und die Horde Schildkröten, die sich über die große Wiese der Insel frisst, als beste Rasenmäher der Welt, benzinlos und absolut exakt. Künftig werd ich mir immer sagen, wenn der Arbeitsstress wieder seine Höhepunkte erreicht: Koch müsste man sein auf Bird Island. Meinetwegen auch Zimmermädchen. Völlig egal. Irgendeine überschaubare Tätigkeit, und kaum streckt man den Kopf aus dem Fenster, schon hat man die Noddyseeschwalben um sich. Aufwachen mit dem Gefauch der Schildkröten und dem Meer Guten Morgen, Guten Mittag und Guten Abend sagen, und während dessen mit den Feen schäkern und von den kecken Rußsseschwalben den neuesten Klatsch hören, und das immer wieder, jeden Tag von neuem. Ich kann mir nicht vorstellen, das über zu bekommen, im Gegenteil: Wie schön wäre solch eine Normalität. Aber wie um mir einen Strich durch meine Milchmädchenrechnung zu machen, landet unser Flugzeug doch. Mein Mann gab mir ohnehin zu bedenken, ob ich meinen würde, dass meine Fähigkeiten als Köchin ausreichen würden, um auf Bird Island angestellt zu werden. Ich werde ihn hungern lassen, schwöre ich mir. Aber zuvor versuch ich meinen Egon-Olsen-Plan: „Los, Esmeralda“, flüstere ich, „wenigstens jetzt auf die Landebahn! Ich will noch nicht weg, aber mehr Geld haben wir auch nicht!“ Das Problem ist nur, dass Schildkröten eben doch langsamer sind als Flugzeuge. Eindeutig. Und so entschwindet Bird Island langsam hinter dem Horizont. Aber sein Zauber bleibt.

 

 

 

Reisetipp:

Ein- oder mehrtägige Touren nach Bird Island kann man von Deutschland aus buchen oder mitunter kostengünstiger (auf der Basis von Restplätzen) im Bird Island - Reisebüro in Viktoria (Mahe). Enthalten sind dann Flug, Übernachtung in einem der wunderschönen Bungalows, exquisite Vollverpflegung und naturkundliche Führungen.