16. 6 .05 Donnerstag.

Das Wetter ist, wie vorhergesagt, heute wieder zum Ausschlafen. Erst Samstag soll es besser werden. Wäre ja zum Abschied auch sehr nett vom Wetter.

Zum Frühstück gibt es jetzt auch den auf der Insel hergestellten queijo fresco, unserem Quark sehr ähnlich und ohne Zutaten ziemlich fad. Das Salz, um das ich Hermínia bitte, ist zu feucht und nicht streufähig, die Dose nicht zu öffnen. Also greife ich wieder einmal auf meine eigenen Bestände zurück – die auf vielen Flügen gesammelten Salz- und Pfeffertütchen.

Da mir die Beerdigung gestern einen Strich durch die Kräcker gemacht hat, decke ich mich heute damit ein – plus Joghurts, Weintrauben (aus Chile), heimischen Äpfeln und natürlich Orangen von José Luís. Ich könnte süchtig danach werden.

Ich packe das Vitamintabletten-Röhrchen ein, das mich auf Reisen auch stets begleitet, um Sand des Urlaubsgebiets heimzuschleppen. Da Sandstrände für Pico aber nicht gerade typisch sind – bis auf die Badestelle, wo wir gefloatet sind – sammle ich halt das nächst Typische: kleines Lavageröll zwischen den Felsen an der Mole, dekoriert mit der Muschel, die mir gestern buchstäblich zugeflogen ist.

Während ich an der Terrassentür saß und schrieb, schepperte es draußen plötzlich – und da lag diese schwarze Muschel. Über mir auf dem Balkon hörte ich Stimmen. Offenbar hatten die Gäste über mir (später sah ich, dass es die barocke Hélène und ihre Freundin sind) gerade ihre am Meer gesammelten Schätze sortiert, wobei einer über Bord ging. Ich tat, als bemerkte ich die Muschel nicht, und habe mich nicht für das Fundstück bedankt. Im Anschluss an meine eigene Sammelaktion gucke ich mir den Friedhof mal etwas genauer an, auf dem gestern jemand beerdigt worden ist. Das frische Grab ist übersät mit kleinen Kränzen und Blumensträußen in diesem hässlichen Cellophanpapier, die man bei uns als sog. Fertigsträuße zum Ramschpreisen verkauft.

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Hier aber dient die Verpackung eher der längeren Haltbarkeit der Blumen, denn der Friedhof liegt direkt an der Uferpromenade und wird vom Wind arg gebeutelt. Deswegen zieren hier die Gräber auch keine frischen Blumen, sondern welche aus Plastik. Über die Ästhetik solchen Grabschmucks lässt sich streiten, doch gepflegter als zerzauste Blüten sieht es allemal aus. Sofern Grabsteine vorhanden sind, werden sie fast immer mit einem Foto des/der Verstorbenen versehen. Der Älteste ist mit stolzen 115 Jahren verblichen (1882 – 1997). Falls man nicht gerade bei der mörderischen Arbeit umkam, muss das Inselleben sehr gesund gewesen sein. Mit der Nikonos mache ich ein paar Fotos von der Brandung und klettere für das letzte Bild sogar noch einen 45° steilen Mauersims empor, nur um anschließend auf der Kaimauer nah genug an mein Fotomotiv heran zu kommen: das Erkertürmchen an dem verfallenen Haus über spritzender Gischt. Dann fängt es zu regnen an, und ich kann mir ausrechnen, dass die Mauerschräge bei Nässe schön glitschig, vielleicht unpassierbar wird. Darum wähle ich für den Rückweg lieber gleich die Flucht nach oben den steilen Abhang hinauf zur Uferpromenade, was bei dem Geröll so einfach auch nicht ist. Oben steht eine Frau, die nur den Kopf schüttelt über diese bekloppte Touristin. Doch sie streckt mir helfend ihre Hand entgegen. Ich lehne dankend ab, will das wieder mal allein schaffen.

Im Zimmer hat Hermínia meine Geröllsammlung bereits auf einer alten Zeitung zum Trocknen ausgebreitet. Und daneben ein Geschenk: ein Foto von ihr und Carmen, gerahmt in türkisfarbenem Porzellan (???), verziert mit Delfinen und anderem Meeresgetier. Ich finde das ganz reizend, bin wirklich gerührt und laufe zu den Beiden ins Nachbarzimmer, wo sie noch bei der Arbeit sind, um mich ganz herzlich zu bedanken. Dass ich den Rahmen etwas kitschig finde, muss ich ihnen ja nicht sagen.

Nach einer ausgiebigen Dusche versuche ich so etwas wie eine ordentliche Frisur hinzubekommen. Aber bei dem Wind hier ist das fast vergeblich. Der Regen variiert sein Programm zwischen Tröpfeln, Pieseln und Sturzbächen aus Kübeln.