Wir haben uns im Grand Seminaire St. George, dem ehemaligen Priesterseminar einquartiert. Zimmer wie Klosterzellen, lange, breite, dunkle Flure, die den vierflügeligen Komplex durchziehen, ein wenig wie bei Harry Potter. Alles scheint altehrwürdig, selbst die Etagenduschen und der riesige Speisesaal mit düsterem Aquarium. Das Licht ist standardmäßig aus und ein heller Filzteppich schluckt die Geräusche der Schritte über das Holz. Dann aber Zahlencodes an den Eingangstoren und -türen. Hoffentlich vergesse ich die Kombination nicht. Piep, piep, piep - Summen, Drücken auf den Messingknopf. Knarrend springt die Holzpforte auf und lässt uns ein.
 
Der Donnerhall prallt inzwischen schon ganz nah auf der Erde ab und es gießt in Strömen. Warum genau wollte ich eigentlich wandern?

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2. Etappe

Le Puy en Velay nach St. Privat d'Allier 
Dienstag, 6. Juli 2004
 
12.30 Uhr
Eine Trockenwiese bei Lic, mit Blick über die Kegelberge im Tal. Der Tag ist bewölkt, aber Vögel, Wanderer und Schmetterlinge kümmert das wenig. Vorhin sahen wir einen Brombeerbusch, an dem hingen beinahe mehr Schmetterlinge als Blüten. Alle Größen und Farben. Das erste Linsenfeld, das ich jemals gesehen habe, lag gleich daneben. Eine Spezialität der Gegend.
 
Einiges los auf dem Weg, aber bisher ist er gut zu laufen. Die Wegmarkierungen sind klar erkennbar. Blasen gab es bisher noch keine, nur Steinchen im Schuh und Hüftschmerzen. Die "Tamalous" sind unterwegs. Mit "Tamalous" bezeichnen die Einheimischen hier die Wanderer, denen sie unterstellen, sich untereinander ständig mit "Tu as mal où?" – "Und? Wo tut's Dir weh?" zu begrüßen.