John befestigte einen Styropor-Vogel auf einem Baumstumpf und holte dann das etwa 2-2,50 m lange Blasrohr. Er nahm einen Pfeil, schob ihn in das Rohr, zielte, und schoss. Der Pfeil flog knapp am Vogel vorbei und landete im Boden. Jeder hatte drei Schuss, erst schoss Richard, dann Günter. Beide knapp daneben, beziehungsweise etwas zu tief unter den Vogel in den Baumstumpf. Dann war ich an der Reihe. Wie sollte das doch gleich gehen? Ich stemmte meinen linken Arm in die Hüfte, hielt mit der rechten Hand das kurze Ende vor meinem Mund fest (und versuchte, dabei nicht an die vielen Menschen zu denken, die vor mir schon das Blasrohr vollgesabbert hatten) und bog den Körper nach hinten. Wie beim Hebelgesetz  zog mich das lange Ende des Rohres (=Lastarm) wieder nach vorne und ich musste viel Kraft aufbringen um mit der rechten Hand  (=Kraft) das kurze Ende  (=Kraftarm) nach unten zu drücken. Dabei durfte ich nicht vergessen, dass ich auch noch den Pfeil herauspusten musste. Wie einfach ist doch im Vergleich ein Gewehr zu handhaben! Ich schoss – und traf. Mitten in den Vogel! Nicht nur meine Zuschauer waren überrascht, auch ich staunte nicht schlecht!  Ich wäre auch schon froh gewesen, bei so viel Physik in meinem Kopf, überhaupt die grobe Richtung beizubehalten. Aber dass ich so genau traf, war mir ein Rätsel. Günter forderte mich heraus: „Das war doch bestimmt nur das Glück eines Anfängers!“, und ich konnte gar nicht anders als anzugeben: „Quatsch, das ist Können. Habe doch genau den Winkel berechnet, das musste einfach so hinhauen.“
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„Dann mach es noch einmal. Wenn Du noch mal so triffst, dann erst glaube ich es“ forderte er mich auf. Hatte ich wirklich den Mund zu voll genommen? Wie habe ich es überhaupt gemacht?  Eigentlich hatte ich überhaupt nicht darüber nachgedacht was ich da tat, ich war viel mehr damit beschäftigt, den Pfeil abzuschießen bevor mir die Puste von dem schweren Blasrohr wegblieb. Vielleicht hätte ich dieses eine Mal meinen Mund halten sollen. Nachdem einige andere  mehr oder weniger erfolgreich den Vogel abgeschossen hatten, nahm ich wieder das Blasrohr zur Hand und hoffte, dass ich wieder Glück und nicht zu viel versprochen hatte. Ich versuchte mich an die Gedanken zu erinnern, die mich beim ersten Mal beschäftigten, stemmte das Blasrohr hoch und schoss zum zweiten Mal.  Ich traute mich gar nicht so recht hinzuschauen, aber der Pfeil steckte wirklich im Vogel! Zwar nicht genau in der Mitte, aber ich hatte ihn getroffen. Womit bewiesen war, dass nicht Glück, sondern Können im Spiele war.  Ich brauchte ja niemandem zu sagen dass ich wirklich nur Glück hatte und wie erleichtert ich in Wirklichkeit über meinen zweiten Treffer war. Aber ich denke, die Erleichterung und die Freude darüber konnte ich vor keinem verbergen. Mein dritter Schuss ging in den Baumstamm und der Vierte wieder in den Vogel. Doch es war sehr anstrengend, und je öfter ich noch schoss, um so geringer wurde die Trefferquote. Ich hatte bald keine Luft mehr und keine Kraft, das Blasrohr zu halten. Wie schwer so ein Blasrohr ist, weiß ich nicht. Aber eines stand für mich fest: ich wollte so ein Blasrohr mit nach Hause nehmen. Egal wie schwer und wie groß. Irgendwie würde ich es schon ins Flugzeug kriegen. Hoffentlich bekam man die auch irgendwo zu kaufen, ich musste unbedingt mal in Coca danach Ausschau halten.
 

Zur Freude der Vegetarier unter uns, Birte und Kornelia, stand zum Abendessen  mal nur verschiedenes Gemüse auf dem Programm. Nein, ich muss mich verbessern, denn Fisch ist bekanntlich kein Gemüse. Aber den aßen die Vegetarier trotzdem. Und zwar gab es als Vorspeise eine leckere Thunfischsuppe mit Kochbanane (auch wenn es sich komisch anhört, es schmeckte ausgezeichnet, denn die Kochbanane ist nicht zu verwechseln mit unserer süßen Banane), und als Hauptgericht panierte Auberginen und Bohnen in allen Variationen. Und es gibt viele davon. Hinterher bekam jeder eine warm servierte Baumtomate als Kompott. Auch ohne Fleisch sind wir alle satt geworden. Glaube ich jedenfalls.
 
Ich war so richtig müde und freute mich auf mein Bett. Nach so einem erlebnisreichen Tag musste ich einfach gut schlafen. Ich zog mein Nachthemd an, nahm meine Zahnbürste und ein Handtuch und ging zum „Badezimmer“. Als ich fertig war, kam Alex, einer der Guides, vorbei und wir unterhielten uns ein wenig. Erst mühte ich mich auf Spanisch ab, und als mir absolute keine Worte mehr einfielen und ich Probleme damit hatte, auszudrücken was ich meinte, sagte Alex: „Wenn dir das spanische Wort nicht einfällt, dann probier es doch mal auf Deutsch,“ und ich schaute ihn erstaunt an. „Du sprichst ja deutsch!“ „Ja“, sagte Alex und grinste, „aber Du sagtest Du wolltest Spanisch lernen. Darum habe ich Dich erst mal reden lassen.“  Doch unsere Unterhaltung fand ein jähes Ende als ich unter dem Dach über dem Waschbecken eine Spinne ausmachte. „Eine Tarantel! Eine Tarantel!“  Alex schaute etwas verstört. Es war doch nur eine Spinne. Wieso die ganze Aufregung?
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Ich wollte sie unbedingt fotografieren und rannte aufgeregt über die Holzstege in mein Zimmer und suchte nervös nach meiner Kamera. In der Eile konnte ich sie natürlich nicht sofort finden und dachte, ich hätte sie beim Abendessen vielleicht an meiner Stuhllehne hängen gelassen. In Windeseile rannte ich weiter, bis ich vor einer verdutzten Runde am Tisch stand und die Stuhllehnen nach einer baumelnden Kamera absuchte. Die einzigen Worte die ich von mir gab, klangen etwa so: „...meine Kamera - ...unbedingt ein Foto ... große wunderschöne Tarantel  - ... meine Kamera, wo ist sie? - ...schnell!“  und schon war ich wieder weg. Dann lag meine Kamera wohl doch irgendwo im Zimmer. Eine Menschenmenge lief nun hinter mir her, ich in wehendem Nachthemd und Sandalen voraus, eine internationale Gesellschaft (Amerikaner, Franzosen und Deutsche) im Schlepptau. Ich hatte sie angesteckt mit meiner Begeisterung für die Tarantel und nun wollten sie sie auch sehen. Da ich nicht gesagt hatte, wo das Krabbeltier lag, folgten sie mir nun. Zuerst in mein Zimmer, wo ich dann doch noch meine Kamera in meinem Rucksack fand, und dann den Weg entlang in einer langen Karawane bis zum Waschbecken. Alex und die Spinne schienen überrascht über das allgemeine Durcheinander, das die Tarantel, ohne es zu wollen(?), ausgelöst hatte. Wie beim Winterschlussverkauf stürmten wir heran. Da ich mich nicht traute, auf das Geländer zu steigen um ein Foto zu machen, opferte sich jemand anders (weiß leider nicht mehr wer) und kletterte mit meiner Kamera nahe an die Spinne. Ich fragte, ob wir sie nicht mal kurz herunter holen könnten, und Alex erklärte sich bereit, wenn ich ihm ein großes Glas besorgte. Schnell wie der Wind verschwand ich und war genauso schnell mit einem Glas in der Hand wieder da. Er fing sie ein und setzte sie auf den Boden. Von allen Seiten wurde sie fotografiert. Die Tarantel schien sich aber nicht wohl dabei zu fühlen, langsam kroch sie an die Holzwand und drückte sich scheinbar eingeschüchtert in die Ecke zwischen dem Boden und der Wand. Martina drückte sich auch eingeschüchtert an die Wand. Sie war sogar unfähig die Spinne zu fotografieren. Recht hatte sie auch, potentiellen Feinden nie den Rücken zuzuwenden und sie immer im Auge behalten.... Wer mehr Angst hatte, wusste ich nicht, ich fand sie zwar faszinierend und auf ihre Art auch schön mit dem dicken behaarten Körper und den haarigen Beinen, aber unheimlich waren mir Spinnen schon. Sie hatte etwa Handtellergröße und anders als erwartet, bewegte sie sich langsam. Ob sie springen konnte?
Nach einer Weile legte sich die Aufregung wieder und Alex setzte die Spinne wieder unter das Dach, wo er sie eingefangen hatte.
Nach diesem Erlebnis endlich in meinem Bett, bildete ich mir ein, überall Spinnen zu sehen. Aber die erwarteten Albträume blieben zum Glück aus. Mir ist eine Schlange im Zimmer nämlich viel lieber als eine Spinne, obwohl ich weiß, dass Spinnen niemals einen Menschen angreifen würden, nur im allergrößten Notfall bei einer unmittelbaren Bedrohung beißen sie zu. Um diese achtbeinigen Tierchen mache ich lieber einen Bogen, auch wenn sie noch so faszinierend sind.
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 (weiter geht es bei "Ecuador Reisebericht: Teil 3" )