Im Schutz des Marabout

 

Kurz vor der Arrak-Schlucht erreichen wir eine kleine Ortschaft mit ein paar armseligen, getünchten Lehmhütten und einer Tankstelle. Mit Seil und Eimer wird der Treibstoff aus dem im Boden eingegrabenen Tank empor gehoben. Die Pumpe ist kaputt! Wir haben ja Zeit.

Wildromantisch schlängelt sich nun die Piste durch die tiefe Arrak-Schlucht. Eine reichlichere Vegetation lässt auf Grundwasser schließen. In zahlreichen Kurven führt uns der Weg bergauf durchs Muydirgebirge. Einige Kilometer abseits der Strecke besuchen wir in einem flachen Talkessel den flaggengeschmückten Marabout des Sidi Moulay. Wir umfahren den kleinen Kuppel­bau des Heiligtums sieben Mal. Das soll für die Weiterreise den Schutz des Marabouts er­bitten und vor Autopannen schützen.

Aber ob man sich darauf verlassen kann? Am nächsten Morgen jedenfalls platzt uns ein Reifen. Die Nacht verbringen wir, geparkt zwischen malerischen Felsen, abseits der Strecke. Wind und Sand haben die Fels­brocken modelliert. Jahrmillionen haben Eisen- und Mangansalze an die Oberfläche geführt, die dann gestern im abendlichen Gegenlicht wie schwarz lackiert glänzte.

Und wieder bringt uns der neue Tag weiter nach Süden. Bei In-Ecker erinnern noch Stacheldrahtreste im Sand an das militärische Sperrgebiet der Franzosen, die hier seinerzeit ihren ersten Bodenversuch mit Atombomben durchführten. Vorüber an der Oase In-Amguel überfahren wir, durch eine rostige Blechtafel markiert, den nördlichen Wendekreis des Krebses. In der Ferne taucht allmählich die Silhouette des Hoggargebirges auf. Am Rand der inzwischen recht steinigen Piste, die sich über niedrige Bergrücken zieht, treffen wir wieder auf die Trucker vom Plateau Tatemeit. Sie sind schon wieder auf der Rücktour Richtung Norden. Zum fröhlichen gemein­samen Mittagessen im Schatten des Lasters spendieren wir eine Dose Rindfleisch.

 

Endlich – Tamanrasset

 

Am Nachmittag ist unser erstes großes Etappenziel erreicht: Tamanrasset – der Hauptort des Hoggar. Das kleine Städtchen hier mitten in der Zentralsahara in einer Höhe von 1350 Metern beherbergt etwa 5000 Men­schen. Aus einem Café an der mit Tamarisken gesäumten Hauptstraße beobachten wir ge­schäftige Mozabiten mit ihren weißen Käppis, Araber mit Pantoffeln und weiter Kniehose und Lasten schleppende schwarze Harratins – Nachkommen der aus Zentralafrika ver­schleppten Sklaven.

Fast arrogant wirken die stolzen Tuareg, mit Amuletten geschmückt und das Gesicht meist mit dem Gesichtsschleier – dem Litham – verhüllt. Ihre weiten Gewänder leuchten in allen Blautönen oder in tadellosem Weiß. Einige schreiten im eleganten Schwarz daher. Anders als bei den Arabern verhüllen sich bei diesem Wüstenvolk die Männer statt der Frauen. Auf dem Postamt nehmen wir mit dem fernen Europa Kontakt auf. Auch eine Bank und einen verstaubten Supermarkt müssen wir aufsuchen. In einer kleinen dunklen Werkstatt lassen wir die Reifen re­parieren.

 

Gegen Abend folgen wir einem anderen Fahr­zeug mit österreichischer Besatzung. Wir ver­lassen die Stadt gemeinsam in Richtung des Hoggargebirges. Das Paar aus Wien kennt dort am Fuße der gigantischen Vulkan-Nadel Pic-Iharken einen idyllischen Übernachtungs­platz. Nachdem ihnen gestern in dieser stei­nigen Gegend ein Skorpion seinen Besuch abstattete und auch sehr schmerzhaft zustach, ziehen wir mal für die nächsten Tage Stiefel an. Noch lange sitzen wir in der Nacht unter einem einmaligen Sternenhimmel und tauschen unsere bisherigen Saharaerlebnisse aus. Nur unsere Stimmen hallen durch die sonst totenstille Nacht. Den späten Mond über den Pic-Iharken erleben wir nicht mehr, da kuscheln wir uns schon lange tief in unsere staubigen Matzratzen.

 

Tuareg – die blauen Nomaden

 

Für unsere Expedition im Hoggargebirge müssen wir unbedingt noch die Wasservorräte auffüllen. An der Tahabort-Chapuis-Quelle lagern durch­ziehende Tuareg. Nur gegen ein unverschämtes Bakschisch lassen sie uns schöpfen.

Noch immer fühlen sich die Tuareg als die Herren der Wüste. Ein Hauch von Abenteuer und Romantik umweht sie allemal. Gegen die bereits im 8. Jahrhundert nach Süden vor­dringenden Araber und den ihnen aufgezwungenen Islam setzten sie sich heftig zur Wehr. Die Moslems nannten sie daher „Tuareg“, was „die von Allah Verstoßenen“ be­deutet. Sie selbst nennen sich „Imouhar“ – die Freien. Seit mehr als 2000 Jahren ist die Existenz der „Blauen Männer“ hier in der Zentralsahara nachweisbar. Noch heute gibt es bei diesen Stämmen Sklaven. Die bereits erwähnten Harratin oder deren Nachkommen werden innerhalb der Tuaregfamilien vererbt.

Für uns sieht es schon recht malerisch aus, wie jetzt ein verhüllter Targi* mit riesigem Turban auf seinem hellen Reitkamel aus der Wüste auftaucht, um das Tier und sich aus der Quelle zu erfrischen. Uns würdigt er im Vorüberreiten keines Blickes.

Jetzt trennen sich auch wieder die Wege der Österreicher von den unseren.

 

Hoggar

 

Vor uns liegt nun das höchste und impo­santeste Gebirge der Sahara, das im Tahat über 3000 Meter erreicht. Ganz typisch sind seine steil aufragenden Basalt-Türme, wie wir sie gestern schon am Pic-Iharen bewundern durften. Anders als bei den meisten Vulkan­bergen auf der Welt steht hier nur noch die er­starrte Lava, die einst den Krater wie einen Korken verschloss. Der eigentliche Berg ist abgetragen und erodiert. Seit Jahren träumen wir davon, einmal durch diese unvergleichliche Landschaft zu reisen. Von nun an nehmen wir noch abenteuerlichere Pisten unter die Räder als bisher. Kompass und militärische Mess­tischblätter, auf denen fast jeder Stein verzeichnet ist, haben wir wegen der zum Teil sehr schlechten Wegmarkierungen auf jeden Fall an Bord.

 

Bald erreichen wir die Imlaoulaouène-Gueltas, verborgen zwischen rosaroten Felsen. Hier schimmert klares Wasser. Gueltas sind im Grunde genommen tiefe Pfützen, die sich vom seltenen Regen in den Vertiefungen der Felslandschaft bilden. Eine willkommene Abwechslung für eine kleine Badeerfrischung. Rund um die Becken haben sich grüne Sträucher angesiedelt. Zumeist jedoch giftige Wolfsmilch-Euphorbien. Bald steigt die Straße in unzähligen Kehren und Windungen hinauf in die Steinwüste. Vor uns taucht die Vulkan-Nadel des Adaoud mit ihren 1890 Metern auf und dahinter erspähen wir bereits den über 2100 Meter hohen Akar-Akar. Das gewaltige Vulkanmassiv des Hoggar zeigt uns dunkle Granitberge, die sich mit hellen Bergstöcken abwechseln. Freistehende Basaltnadeln, die Vulkanruinen, recken sich wie mahnende Finger in den gleißenden Himmel. Manche Bergkuppen erheben sich wie riesige Orgeln mit aus Lava geformten Pfeifen. Wir durchfahren Tiefsandstrecken und weite von Gra­nitblöcken übersäte Hochflächen. Oft ist der eigentliche Fahrweg nicht zu erkennen und wir halten uns an auffällige Landmarken, um weiterzukommen. Wir durchqueren trockene Wadis und oft knirschen die vorderen und hinteren Überhänge des Bullys über den Boden. Manchmal ist Schrittgeschwindigkeit schon zu riskant. Tiefsandflächen müssen wir allerdings mangels Allrad mit Schwung und oft mit durchdrehenden Rädern durcheilen. Wieder durchfahren wir ein tückisches Tiefsandfeld. So richtig lässt sich der schlingernde Wagen hier gar nicht lenken. Man hat das Gefühl, als schwimme das Fahrzeug auf dem Sand.