An den drei Schwestern vorbei beschreibt der Weg einen weiten Bogen ins Tal. Nachdem die steilen Giants Stairways hinter uns liegen, geht es ziemlich bequem voran. Schon nach etwa einem Kilometer sind nur noch wenige Touristen unterwegs, die meisten haben keine Zeit oder keine Lust auf die Wanderung. Wir genießen aber noch einmal die Blue Mountains und lassen uns Zeit für den Weg. Die Gegend ist schön, aber etwas Neues oder Besonderes sehen wir zunächst nicht. Vielleicht sind für Echsen, Drachen und ähnliches doch zu viele Besucher auf diesem recht ausgetretenen Pfad unterwegs. Doch dann bleibt Martin vor mir plötzlich abrupt stehen und ich sehe sofort warum: Nur drei Meter vor uns befindet sich eine Schlange. Sie dreht uns den Rücken zu, hat uns aber mit Sicherheit längst bemerkt. Gut 1,30 Meter lang liegt ihr kräftiger, geschmeidiger Körper glänzend schwarz im Laub. „Schwarz“, das habe ich gelesen, ist als Auskunft über das Aussehen einer Schlange eine völlig unbrauchbare Aussage. Viel zu viele Schlangen sind am Rücken schwarz gefärbt; die Unterseite ist meistens interessanter und wäre damit für die Bestimmung eines Antiserums relevant. Ob unser Untier wohl eine rötliche Färbung am Bauch hat? Nachgucken möchte ich nicht. Denn dann handelte es sich um die giftige Rotbauchschwarzotter, deren Nervengift Lähmungen verursacht. Im Allgemeinen gilt sie für den Menschen nicht als besonders gefährlich, aber wenn man Pech hat und die Atmungsorgane betroffen sind, kann ihr Biss durchaus tödlich sein. Sie ist in dieser Gegend beheimatet und tagaktiv, vielleicht stehen wir also wirklich einer Red-bellied Black Snake gegenüber.
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In respektvollem Abstand bleiben Martin und ich stehen, zumindest mir ist auch ganz schön mulmig zumute. Auf Koalas, Wallabies, Kängurus und Possums in freier Wildbahn habe ich mich gefreut, den Rochen habe ich auch noch verkraftet, aber auf die Begegnung mit einer Schlange, die womöglich giftig ist, kann ich eigentlich verzichten. Australienkenner haben mich vor der Reise immer wieder beruhigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung doch ziemlich gering ist. Und jetzt liegt dieses Ding da vor mir! Nachdem der erste Schrecken überwunden ist, überlegen Martin und ich, was jetzt zu tun ist. Wir wissen zwar relativ genau, was wir gemacht hätten, wenn die Schlange uns gebissen hätte. Hat sie aber nicht und vorerst scheint sie auch keine Angriffspläne zu schmieden. Aber wie verhält man sich, wenn eine Schlange gar nichts macht? Dieses Exemplar will scheinbar einfach da liegen bleiben, wo es ist, und das ist ziemlich präzise auf unserem Weg. Der misst etwa zwei Meter in der Breite und ist damit eindeutig zu schmal für mich und eine Schlange, finde ich. Aber während Martin und ich noch grübeln, lässt das Reptil Gnade vor Recht ergehen und verschwindet mit plötzlicher Eile im Gebüsch. Und wir beglückwünschen uns, dass wir das Untier durch unser todesmutiges Nichtstun in die Flucht geschlagen haben.