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Unser Fahrer war ein schmächtiges Bürschchen von etwa 40 kg, hatte wild zerzauste und schwarze Haare und blitzende Augen. Sein Hemd war zerfetzt und gelöchert, und seine Hose hing mehr oder weniger in Streifen an ihm. Unterwäsche kannte er nicht wie die meisten Inder. Das haben die reicheren von den Europäern übernommen, die große Masse kennt keine Unterwäsche. Jedenfalls tat uns unser Fahrer sehr leid, und wir haben ihm doch ein Trinkgeld gegeben, nachdem er uns später wieder heil zum Hotel zurückgebracht hatte.

Von der Rikscha aus hatten wir noch viel direkteren Kontakt zur Stadt und zur Bevölkerung. Allein die tausend Gerüche und Gestänke und Geräusche wären eine Beschreibung wert, wenn es sich ausdrücken ließe. Denn das, was man an den Straßenrändern zu Augen bekommt, ist fast unbeschreiblich. Diese Armut, der unvorstellbare Dreck, die halbnackten, verlausten Kinder und die unzähligen bettelnden Hände überall jagten uns die Rückenhaare hoch. Man kann manchmal gar nicht glauben, was man sieht. Aber offensichtlich leiden diese Menschen nicht darunter, jedenfalls nicht so, wie wir das annehmen würden. Für sie ist das ein ganz normales Leben, etwas anderes haben sie ja nie kennengelernt, und sie haben so gut wie keine Informationen von anderen Ländern. Und wenn sie die hätten, könnten sie sich trotzdem kaum ein anderes Leben als das vertraute vorstellen. Unser Mitleid könnten sie wahrscheinlich auch nicht verstehen. Und das Betteln haben sie erst durch die Touristen kennengelernt. Es ist auch zu einem Job geworden, und warum sollen Kinder nicht betteln und etwas zum Familieneinkommen beisteuern? Also betteln sie, das ist nicht sehr anstrengend. Wir waren jedenfalls trotzdem entsetzt.

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Zuerst fuhren wir also zum Roten Fort von Agra und bewunderten dort die schönen Einlege- und Steinmetzarbeiten. Treppauf und treppab, überall wunderschöne Handwerksarbeit, die man wirklich gesehen haben sollte. Außerhalb des Bauwerks waren natürlich wieder jede Menge aufdringliche Händler, die uns ihre "einmaligen" Souvenirs verkaufen wollten. Teilweise haben wir tatsächliche hübsche Sachen erstanden. Manches war unerwartet teuer, anderes wieder erstaunlich billig. Am schönsten waren aber die Schnitzereien aus Sandelholz, das so wunderbar duftet. Wir haben einige Elefanten und eine Kette aus diesem Holz erstanden.

Unser Rikschafahrer wartete schon auf uns und ab ging es zum Taj Mahal, auf das wir schon so gespannt waren. Tja, und dann standen wir davor und konnten es kaum fassen. Diese Harmonie, diese Majestät, ein architektonisches Wunderwerk und sicherlich das schönste Bauwerk der Erde. Wir konnten es nur uneingeschränkt bestätigen und waren total sprachlos und fasziniert. Wir standen davor und fühlten uns wie in einem Märchen aus 1001 Nacht, so unwirklich kam uns dieses prachtvolle Grabmal vor. Langsam und sehr respektvoll gingen wir näher und besahen uns dieses Marmorwunder von allen Seiten. Wir mußten die Schuhe ausziehen, wie fast in jedem Tempel, und gingen in den Innenraum des Grabmals. Und was wir dort zu sehen bekamen, verschlug uns wirklich die Sprache. Tausende und Abertausende von Blüten aus Halbedelsteinen waren kunstvoll in den weißen Marmor eingelegt, zierten den Innenraum und die beiden Zenotaphe (Särge von Mumtaz Mahal und Shah Jahan, dem Erbauer). Fenster, aus weißem Marmor in großen Stücken gehauen, befanden sich ringsherum und zwangen uns zur Bewunderung dieser menschlichen Fähigkeiten. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal die Halbedelsteine einer einzige Blüte zu zählen: nicht weniger als 52 einzelne Halbedelsteine gehören zu einer einzigen Blüte, den Stiel und die Blätter noch nicht dazugezählt. Man rechne sich die Millionen von Einzelteilchen aus, die dann noch in das Marmor eingelegt werden mußten, bis das Kunstwerk vollendet war. Wirklich unglaublich. Das Taj Mahal wurde von Shah Jahan vor 350 Jahren erbaut zum Gedenken an seine geliebte Frau Mumtaz Mahal, die bei der Geburt ihres 14. Kindes starb. Es ist eine liebenswerte Ungereimtheit der mohammedanischen Welt, in der die Frau nur eine untergeordnete Rolle spielt, daß das schönste Bauwerk dieses Kulturkreises ausgerechnet einer Frau gewidmet ist. Aber es gab schon immer Ausnahme-Männer.

Ein Heer von 20.000 Arbeitern begann 1631 mit den Arbeiten und war 22 Jahre später fertig. Shah Jahan wollte für sich selbst das gleiche Werk in schwarzem Marmor auf der gegenüberliegenden Seite des Yamuna-Flusses erbauen, aber er hatte durch den Bau des Taj Mahal den Staatshaushalt derart ruiniert, daß sein Sohn ihn bis zu seinem Tod gefangenhielt und danach neben seiner Frau bestattete.

Wir standen bis zum Sonnenuntergang vor diesem traumhaften Bauwerk. Wir wollten spätabends noch einmal wiederkommen, um das Grabmal im Mondschein zu sehen, doch daraus wurde leider nichts, da wir zu spät ankamen und die Tore bereits geschlossen waren. Wir lernten auf diese Weise aber per Rikscha noch einige interessante Ecken Agras kennen und staunten immer wieder über die offensichtliche Bedürfnislosigkeit und Zufriedenheit der meisten Inder.

Als wir vom Nachmittagsausflug zu unserem Hotel zurückkamen, stand dort zu unserem Kummer tatsächlich unser rollendes Hotel. Nun mußten wir also wieder in der heißen Koje schlafen. Aber immerhin hatten wir unsere Koffer wieder und konnten uns endlich frische, saubere Sachen anziehen. Aber die Kojen waren derart aufgeheizt und die Luft darin derart schlecht, daß kein Mensch darin schlafen mochte. Wir haben noch eine Weile vor Verzweiflung draußen gesessen und was getrunken und sind dann mit den Matratzen aus der Koje in eines der Zimmer gegangen, die für die Waschgelegenheit gemietet waren. Dort konnten wir halbwegs normal schlafen, was ja keineswegs selbstverständlich war.